Predigt zum Hochfest der Himmelfahrt Christi (Apg. 1:1-12; Lk. 24:36-53) (13.06.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
als Halbwüchsiger, der von frühester Kindheit an am Gottesdienst in der Kirche teilnahm, wunderte ich mich jedes Mal darüber, dass die Jünger des Herrn nach dem Abschied ihres geliebten Herrn „in großer Freude“ (Lk. 24:52) nach Jerusalem zurückkehrten. In meiner kindlichen und jugendlichen Vorstellung war diese Freude unvereinbar mit dem Schmerz der Trennung. Außerdem, so dachte ich damals, wäre es doch besser gewesen, wenn der Herr (leiblich) bei uns auf Erden geblieben wäre und bei jeder sich für uns bietenden Gelegenheit Kranke geheilt, Dämonen ausgetrieben, Tote auferweckt und alles Leid auf der Erde momentan gelindert hätte (freilich dachte ich nicht daran, wie lange die Warteschlangen vor Seinem Empfangsraum irgendwo auf dem Berg Zion dann erst gewesen wären, und dass man Termine da wohl Jahre im Voraus hätte ausmachen müssen). Fast ein halbes Jahrhundert später, nach absolviertem Theologiestudium und nach über einem Vierteljahrhundert Pastoraldienst verstehe ich natürlich, dass der Herr auch während Seiner irdischen Mission die Welt nicht auf Anhieb in einen Lustgarten ohne Leid und Schmerz verwandelt hat. In dieser Zeit begriff ich, dass das Paradies auf Erden ja in unseren Herzen existiert (s. Lk. 17:21) und dass der Herr uns mitnichten verlassen hat (s. Mt. 28:20). All das ergibt sich zudem aus unserer Glaubenslehre, die ihren Ausdruck in den Festtagshymnen der Kirche findet. In meiner pubertären Unbedarftheit betrachtete ich die Dinge aus einer rein irdischen Perspektive, die altersbedingt wohl verzeihlich gewesen ist. Wenn wir dieser bei der großen Mehrheit auch der Erwachsenen verbreiteten Denkweise jedoch weiter folgen, erkennen wir im Grunde das Bestreben, Christus vom Himmel wieder auf die Erde herabholen zu wollen (s. Röm. 10:6). Der Apostel Paulus argumentiert in seinem Schreiben an die Christengemeinde in Rom ja gegen die, welche in Jesus Christus nicht den Messias sehen wollten und bekräftigt die Adressaten im Glauben, dass Christus Gott ja bereits vom Himmel herabgekommen, von den Toten auferstanden und wieder gen Himmel aufgefahren ist (s. Röm. 10:7). Das wurde im Alten Testament angedeutet (s. Dtn. 30:11-14; Spr. 30:4) und im Neuen Testament bestätigt (s. Joh. 1:14; 3:13,31; Eph. 4:8-10). Der entscheidenden Faktor für unser Frohlocken an diesem Tag der Freude über die Himmelfahrt, welcher die vierzig Tage der Osterfreude ablöst, ist ja die Verheißung des Heiligen Geistes (s. Apg. 1:8). In Seiner Abschiedsrede hatte der Herr zu seinen Jüngern gesagt: „Es ist gut für euch, dass Ich fortgehe. Denn wenn Ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe Ich aber, so werde Ich Ihn zu euch senden“ (Joh. 16:7). Der Heilige Geist wird es durch Seine Gnade ermöglichen, dass wir nicht bloß Zaungäste der Heilstaten des Herrn bleiben, sondern zu Teilhabern dieser göttlichen Geschehnisse werden. Wenn also Christus, nachdem „Er in den Himmel aufgenommen“ und Sich „zur Rechten Gottes“ setzte (Mk. 16:19), sind nun auch wir der Gnade des Heiligen Geistes zufolge befähigt, als Glieder an Seinem göttlichen Leib (s. 1 Kor. 12:12) nach der „Reinigung von den Sünden“ mit Ihm in den Himmel aufzufahren und „zur Rechten der Majestät in der Höhe“ (Hebr. 1:3) zu sitzen. Das ist die Frohe Kunde an diesem Tag! Ohne den Heiligen Geist, durch Welchen die Kirche gegründet ist und durch Welchen auch wir zu Teilhabern am Königtum Gottes geworden sind (s. Joh. 3:5), wäre die ganze Heilsgeschichte bis zur Aufnahme Christi in den Himmel herrlich, großartig, „interessant“, würde uns alle in Entzückung versetzen, aber wir hätten keinen Anteil daran. Dann wäre auch das Opfer Christi völlig sinnlos gewesen. So aber existiert das Königtum Gottes schon in dieser Welt, und zwar nicht irgendwo auf dem Gipfel des Mount Everest, sondern mitten unter uns (s. Lk. 17:21). Wer jetzt immer noch nicht begriffen hat, warum wir Christen sonntags lieber zur Kirche gehen als zum Grillen in den Schrebergarten, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen. Und doch gibt es diese Menschen, und es gibt sie zuhauf, die „sehen und doch nicht sehen, (...) hören und doch nicht hören und nichts verstehen“ (Mt. 13:13; vgl. Jes. 6:9; Mt. 13:14-15; Mk. 4:10-12; Lk. 8:9). Sie lassen zwar ihre Kinder taufen, holen für sich selbst im Bedarfsfall die Taufe nach – doch von der „Besiegelung mit dem Heiligen Geist“ wissen die wenigsten Bescheid. Dabei sind sie vernunftbegabte Wesen! Wenn ich meine Kinder im Schwimmverein anmelde, sie aber nicht zum Training schicke, werden sie kaum in der Badewanne zu Hause schwimmen lernen. Das verstehen sie. Aber Christ sein ohne Kirche, das geht immer! Es würde schon ausreichen, wenn sie und wir alle das Evangelium lesen würden, um die notwendigen Anhaltspunkte für ein Leben mit dem Glauben und nach dem Glauben zu haben.
Jedoch ist auch bei denen, die aktiv und regelmäßig am kirchlichen Leben teilnehmen, immer wieder zu beobachten, dass es unter ihnen zu Zwistigkeiten kommt. Mir scheint die Ursache darin zu liegen, dass auch sie nicht wirklich glauben, dass auch wir mit Christus zur Rechten Gottes (s. Apg. 7:55) sitzen werden. Wenn wir aber hienieden statt der Frucht des Geistes (s. Gal. 5:22-25) vielmehr Werke des Fleisches hervorbringen: „Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und ähnliches mehr“, werden wir ganz bestimmt „das Reich Gottes nicht erben“ (Gal. 5:19-21). Würden wir als getaufte Christen so zur Rechten Gottes gesetzt werden, würden wir von selbst schleunigst von dort fliehen wollen, und zwar dahin, wo all diese Dinge zur Gesetzmäßigkeit geworden und äußerlicher Ausdruck unseres Seelenzustands sind. Amen.