Predigt zum 25. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 4:1-6; Lk. 8:41-56) (18.11.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
erneut wird uns heute die Erzählung vom Zweifach-Wunder des Herrn angeboten. Auf dem Weg in das Haus des Synagogenvorstehers, wo Er dessen todkranke Tochter heilen will, wird unser Herr inmitten der Ihn bedrängenden Volksmenge von einer Frau berührt, die daraufhin sofort von ihrem Blutfluss geheilt wird. Auch die inzwischen verstorbene Tochter des Jairus lässt unser Herr, im Hause des Synagogenvorstehers angekommen, wieder vom Todeslager aufstehen. Diese beiden Wunder sind unglaublich, wir würden vielleicht sagen "spektakulär", doch unterscheiden sie sich in ihrer Außenwirkung grundlegend voneinander. Nach menschlicher Logik hätte der Herr die blutflüssige Frau wohl unbemerkt vondannen ziehen lassen müssen, hatte sie doch die Vorschriften des Gesetzes missachtet, da sie selbst und auch jeder, der mit ihr nur in Berührung kam, als unrein galt (s. Lev. 15:25-27). Insofern hätte das ja (nach dem Buchstaben des Gesetzes) bedeutet, dass nun auch Jesus "unrein" geworden ist. Nur Er und die Frau wussten Bescheid, beide hätten die Sache aus eigenem Interesse verheimlichen können, und trotzdem spricht der Herr in aller Öffentlichkeit über das Geschehene und lobt die Frau sogar! Im Hause des Jairus hingegen gibt es zahlreiche Zeugen für den eingetretenen Exitus des Mädchens (s. Lk. 8:53), auch die Menge auf der Straße hat schon davon erfahren (s. 8:49), und doch will der Herr diese Wiederbelebung im Verborgenen halten!.. Er braucht nicht den Ruf eines Wundertäters, eines, der auf Effekthascherei abzielt, um die Massen in Seinen Bann zu ziehen (vgl. Mt.4:6-7 und Lk. 4:9-12); Seine Aufgabe ist einzig und allein die Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes (s. Lk. 4:43). Welch eine Souveränität ist das!
Eines haben diese beiden Wundertaten des Herrn allerdings doch gemeinsam: trotz ihrer äußeren Unterschiedlichkeit gibt es ein Kriterium, das für ihr Zustandekpommen ursächlich ist - den Glauben (s. Lk. 8:48 und 8:50). Bei der Blutflüssigen offenbart sich dieser im Nachhinein, beim Synagogenvorsteher von vornherein. Die namentlich nicht genannte Frau aus der Menge hatte den Glauben schon, sonst hätte sie sich dem Herrn nicht zu nähern gewagt; Jairus verlies der Glauben wohl, als ihn die Nachricht vom Tode seiner Tochter ereilte, doch in diesem für ihn schwersten Moment stand ihm der Herr zur Seite und stärkte den Glauben (s. 8:50). Das ist es also, worum es dem Herrn, worum es in dieser Erzählung vornehmlich geht: den Glauben an die Allmacht Gottes.
Aber wir glauben doch alle an Gott, oder etwa nicht? - Ja, aber was ist das für ein Glauben, der keinerlei Auswirkungen auf unser Leben hat? - Wir glauben an Gott, leben manchmal aber so, als ob es keinen Gott gäbe. Zumindest unterscheidet sich unser Alltagsleben nicht wirklich von moralisch unbescholtenen areligiösen Mitmenschen. Diese sind manchmal aufrichtig bemüht, ihr Bestreben nach Mitmenschlichkeit auch zu leben, während bei uns ein undefinierter Gottesglauben gepaart mit einem willkürlich von uns selbst festgelegten Mindeststandard an Anständigkeit schon die Erfüllung der angeblich von Gott geforderten Norm erfüllen soll. Urteilen Sie selbst, wie logisch, rational und seriös das ist!.. Der Herr erwartet von uns, dass wir im Glauben stark sind und im Glaubensleben wachsen (s. Mt. 17:20; Lk. 17:6). Selbst die Ihm treu ergebenen Jünger tadelte Er oftmals für deren Unglauben (s. Mt. 17:17; Mk. 9:19; 16:14; Lk. 9:41). Demjenigen aber, der Ihn um einen lebendigen Glauben bittet, wird Er Seine Hilfe nicht verweigern (s. Mk. 9:24).
Die Fähigkeit zu glauben ist eine vom Schöpfer verliehene Begabung (s. Eph. 2:8). Die Höhlenmenschen in unseren Breitengraden sowie die Eingeborenen aller Erdteile beteten Kräfte der Natur bzw. Götzen an. Hätte ihnen jemand den wahren, von Gott offenbarten Glauben verkündet, hätten sie ihn - anders als die Orang-Utans unserer Zeit - womöglich angenommen. Und wenn wir diesen Faden weiterspinnen, kommen wir zu der Erkenntnis, dass die bloße Befähigung zum Glauben Ausdruck der (ein für alle Mal verliehenen) Ebenbildlichkeit Gottes ist (s. Gen. 1:27), während der aktiv gelebte Glaube die (kontinuierliche) Verwirklichung der Gottesähnlichkeit darstellt (s. Gen. 1:26). In der Sprache der Väter der Kirche nennt man das "Vergöttlichung" (gr. theosis).
Aus den heute in einer Lesung geschilderten beiden Fallbeispielen geht hervor, dass die Intensität des Glaubens und die daraus resultierende Hingabe zu Gott eine absolute Voraussetzung für das Wirken der Gnade und ein überragendes Kriterium für das Seelenheil darstellen. Wer meint, dies gehe ohne Beteiligung am kirchlichen Leben, dem wollen wir die heutige Epistellesung zu Gemüte führen: "Ich, der ich um des Herrn willen im Gefängnis bin, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedlich, und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater, Der über allem und durch alles und in allem ist" (Eph. 4:1-6). Wie man daraus ableiten kann, man könne ohne lebendige Gemeinschaft im Leib Christi "auf seine Weise glauben", "Gott im Herzen haben" und "nur dem eigenen Gewissen Rechenschaft schulden", ist mir unerklärlich. Wenn der Widersacher schon den Herrn mit verlockenden Surrogaten für den einzig heilbringenden Weg ködern wollte (s. Mt. 4:8-9 und Lk. 4:5-7), so wird er es auch mit uns versuchen. Wie sehr würde ich mir dann wünschen, dass wir alle gemeinsam die Einheit des Geistes durch den Frieden in einem Leib wahren! Nur dann ist es wirklich auch für uns ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater. Amen.