Predigt zum 14. Herrentag nach Pfingsten (2 Kor. 1:21-2:4; Mt. 22:1-14) (02.09.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
auch heute wollen wir uns der sonntäglichen Apostellesung zuwenden, die ein Musterbeispiel für pastorale Fürsorge darstellt. Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: "Gott aber, Der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und Der uns alle gesalbt hat, Er ist es auch, Der uns Sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat. Ich rufe aber Gott zum Zeugen an und schwöre bei meinem Leben, dass ich nur, um euch zu schonen, nicht mehr nach Korinth gekommen bin. Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt. Ich entschloss mich also, nicht noch einmal zu euch zu kommen und euch zu betrüben. Wenn ich euch nämlich betrübe, wer wird mich dann erfreuen? Etwa der, den ich selbst betrübt habe? Und so schrieb ich, statt selber zu kommen, einen Brief, um nicht von denen betrübt zu werden, die mich erfreuen sollten; und ich bin sicher, dass meine Freude auch die Freude von euch allen ist. Ich schrieb euch aus großer Bedrängnis und Herzensnot, unter vielen Tränen, nicht um euch zu betrüben, nein, um euch meine übergroße Liebe spüren zu lassen" (2 Kor. 1:21-2:4).
Der Apostel beginnt mit dem ermahnenden Hinweis darauf, dass wir alle durch das Mysterium der Myronsalbung die Besiegelung des Heiligen Geistes von Jesus Christus haben. Dadurch sind wir zu Propheten, Priestern und Königen geworden, denn als Propheten haben wir exklusiv Kenntnis von den göttlichen Geheimnissen: "Ihr habt die Salbung von Dem, Der heilig ist, und ihr alle wisst es. Ich schreibe euch nicht, dass ihr die Wahrheit nicht wisst, sondern ich schreibe euch, dass ihr sie wisst und dass keine Lüge von der Wahrheit stammt (...) Für euch gilt: Was ihr von Anfang an gehört habt, soll in euch bleiben; wenn das, was ihr von Anfang an gehört habt, in euch bleibt, dann bleibt ihr im Sohn und im Vater. Und Seine Verheißung an uns ist das ewige Leben. Dies habe ich euch über die geschrieben, die euch in die Irre führen. Für euch aber gilt: die Salbung, die ihr vom Ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen. Alles, was Seine Salbung euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Bleibt in Ihm, wie es euch Seine Salbung gelehrt hat" (1 Joh. 2:20-21;24-27); als Priester bringen wir uns selbst Gott als angenehmes Opfer dar: "Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen" (1 Petr. 2:5); als Könige sind wir berufen, über eitle Gedanken und Leidenschaften zu herrschen und das Böse durch das Gute zu besiegen (s. Röm. 12:21), um dereinst das künftige Königreich in Empfang nehmen zu dürfen: "Kommt her, die ihr von Meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist" (Mt. 25:34).
Wie steht es aber mit dem eingangs erwähnten seelsorgerischen Feingefühl des Apostels? - Es scheint offensichtlich zu sein, dass der Apostel einige aus der Gemeinde in Korinth bereits früher durch seinen Tadel betrübt hatte und dass diese wohl auch bis zum jetzigen Zeitpunkt ihre Verhaltensweisen nicht wesentlich geändert haben. Deshalb ändert er jetzt seine Taktik, übt sich in Geduld und Nachsicht gegenüber den Schwächen der von ihm zuvor Gerügten und erscheint nicht noch einmal persönlich. Stattdessen wendet er sich in einem Brief (s. 2 Kor. 2:3) an die Gemeinde, in dem er durchblicken lässt, dass er der zu erwartenden Enttäuschung ausweichen wollte. Dadurch werden die, welche den Apostel eigentlich durch einen lauteren Lebenswandel erfreuen sollten (s. 2:3), nicht bloßgestellt, aber der Hinweis auf die seelische Beklemmung des Apostels (s. 2:4) soll nichtsdestoweniger als dezenter Ansporn für diejenigen verstanden werden, die sich den aus liebendem Herzen kommenden Ermahnungen des Apostels bislang verweigert haben. Ein Eklat würde jetzt keinem nützen, sondern nur weitere Betrübnis im Gemeindeverbund hervorrufen. Wir kennen das alle aus unseren Flegeljahren: Wenn ein Wiederholungstäter "in flagranti" erwischt wird, sinkt seine Bereitschaft zur Besserung rapide, denn er wird wohl aus Trotz eher noch weiter sein Unwesen treiben. Gebe ich ihm aber taktvoll zu verstehen, dass ich über sein Ansinnen und seine Machenschaften unterrichtet bin und sehr wohl in der Lage wäre, mit aller Härte durchzugreifen, dies aber (bislang noch) aus wohlmeinender Rücksichtnahme unterlasse, wird er wahrscheinlich Dankbarkeit und Anerkennung dafür empfinden, dass er straffrei und ohne Gesichtsverlust die Dinge selbst wieder in Ordnung bringen kann. So kann man zum Helfer zur Freude (s. 1:24) werden; es ist dies eine "win-win-Situation", da nämlich die Freude des einen auch die Freude des anderen ist (s. 2:3). Und das ist es doch, was wir immer - in jeder Situation - anstreben sollten: das Allgemeinwohl, nicht den Vorteil einzelner! Auch das bedeutet - aus Sicht des Gemeindevorstehers betrachtet -, dass er nicht über den Glauben seiner Schutzbefohlenen herrscht.
Diese Milde des sonst strengen Lehrers ist insofern auch nachvollziehbar, da er sich der Glaubenstreue der von ihm gegründeten Gemeinde im Wesentlichen sicher ist (s. 1:24). In der Tat, darf niemand Herr über den Glauben eines anderen sein, weil der Glaube nur ungezwungen angenommen, gelebt und weitergegeben werden kann. Die Verkündigung des Glaubens ist vielmehr Ausdruck väterlicher Fürsorge (vgl. 1 Kor. 4:14-16), die allein einen Glaubensboten zu "Gottes Mitarbeiter" (s. 1. Kor. 3:9) macht. Mir diesem Geist der Unaufdringlichkeit ist die wahre göttliche Verkündigung durchsetzt, wie im Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl unschwer zu erkennen ist. Amen.