Predigt zum 4. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 6:18-23; Mt. 8:5-13) (24.06.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
es ist wie so oft: in knappen Worten wird in einem kurzen Ausschnitt der Heiligen Schrift das offenbart, was die ganze Bibel vom Wesen und der Bedeutung her ausmacht. Und der heute vorgelesene kurze Abschnitt aus dem Römerbrief steht auch in dem Sinne exemplarisch für die gesamte Schrift, da er auf eindrucksvolle Weise bestätigt, dass es keine Rosinenpickerei bei der Interpretation biblischer Texte geben darf. Der Römerbrief handelt ja in weiten Zügen von der Rechtfertigung durch den Glauben. Es gibt dort genug Stellen, die, für sich allein genommen, die Vermutung nahelegen könnten, der Mensch werde schon allein dadurch, dass er an die Existenz Gottes glaubt, gerecht gemacht (s. z.B. 1:16-17; 3:22; 4:5; 5:1; 10:10-11; 11:20). "Sola fide!" Aber dieses absurde Zerrbild wird an anderen Stellen dieses Briefes widerlegt (s. z.B. 1:21; 2:17-24). Denn der gesamte Zusammenhang des Römerbriefes ergibt ein anderes, vervollständigtes Bild. Heute lesen wir: "Ihr wurdet aus der Macht der Sünde befreit und seid zu Sklaven der Gerechtigkeit geworden. Wegen eurer Schwachheit rede ich nach Menschenweise: Wie ihr eure Glieder in den Dienst der Unreinheit und der Gesetzlosigkeit gestellt habt, so dass ihr gesetzlos wurdet, so stellt jetzt eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit, so dass ihr heilig werdet" (Röm. 6:18-19). Wir sind Sklaven der Gerechtigkeit?!.. Jeder muss irgendjemandem dienen (Kirche, Staat, Familie, Firma etc.), denn das liegt in der Natur der Sache. Die Frage ist nur - wem? "Sklaverei" ist hier eine Metapher für den jeweiligen Zustand unserer Natur. Nach "Menschenweise" ausgedrückt, heißt das: wenn wir zuvor als Sklaven unserer gefallenen Natur von der Sünde geknechtet waren und so dem Teufel gedient haben, können wir doch jetzt, vermittels unserer in Christus erneuerten Natur (s. 6:4-11), Gott als "Sklaven der Gerechtigkeit" dienen. In diesem Sinne, übrigens, nennen wir Orthodoxe uns selbst "Knechte" und "Mägde" Gottes. Er gab uns zwar die Macht, Kinder Gottes zu werden (s Joh. 1:12) - aber sind wir das bereits jetzt?!.. Denn auch wenn mir mein Chef beim Betriebsfest das "Du" anbietet, bleibt er der Boss und ich werde mir ihm gegenüber keinerlei Frivolitäten leisten. Meine stets vorhandene Loyalität und Zuverlässigkeit gereicht mir dann aber noch mehr zur Ehre, seit ich nun liebevoll beim Vornamen angeredet statt wie früher mit dem Nachnamen angebrüllt werde. Und wer weiß, wie sich mein Verhältnis zur Chefetage im Laufe der Zeit weiter entwickeln wird?.. Eben diesen respektvollen Umgang pflegt Gott mit Seinen Knechten (und Mägden), die Er zu nichts Geringerem als zu Seinen Erben machen will!
Wir bleiben im beschrittenen Duktus dieser Metapher von Freiheit und Knechtschaft: "Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, da wart ihr der Gerechtigkeit gegenüber frei. Welchen Gewinn hattet ihr damals? Es waren Dinge, deren ihr euch jetzt schämt; denn sie bringen den Tod. Jetzt, da ihr aus der Macht der Sünde befreit seid und zu Sklaven Gottes geworden seid, habt ihr einen Gewinn, der zu eurer Heiligung führt und das ewige Leben bringt" (6:20-22). Ist "Freiheit" immer gut, ist "Knechtschaft" automatisch schlecht? - Es kommt darauf an, wovon man frei ist bzw. wem oder was man sich unterordnet. Als Sünder ist man "der Gerechtigkeit über frei" (nach dem Sprichwort: "Ist der Ruf erst ruiniert, lässt sich´s leichter leben ungeniert"). Für manch einen sicher ein erstrebenswerter Zustand! Aber ist das Freiheit? - Es ist gewiss ein Produkt unserer von Gott verliehenen Entscheidungsvollmacht, aber diese "Freiheit von der Gerechtigkeit" macht uns unvermittelt zu Sklaven der Sünde. Vom Standpunkt der von der Sünde Befreiten betrachtet führt das zu "Dingen, derer wir uns jetzt schämen", da sie für uns todbringend sind. Von wegen, "der Glaube allein genügt"! - Der noch von der Sünde Geknechtete erkennt ja nicht einmal, dass er in Unreinheit lebt; den von Gott Geheiligten hingegen widert dieser unsägliche Zustand des Sündenbefalls an, er "schämt" sich der Taten, die längst zurückliegen, die aber mal Inhalt seines von Gott entfremdeten Lebens waren. Es stehen uns nur diese zwei Modelle zur Wahl; da gibt es kein Grauzone: nur entweder ... oder ...!
Die "Knechtschaft Gottes" - gemeint ist die ungezwungene Unterordnung unter die Herrschaft Dessen, Der ohnehin alles beherrscht, aber in dieser Welt zumindest scheinbar keinen Gebrauch von Seinem Gewaltmonopol macht, - befreit uns von der "Macht der Sünde". Die "Knechtschaft Gottes" stellt dahingehend einen "Gewinn" für uns dar, als dass wir durch sie die "Heiligung" und das "ewige Leben" erlangen. Nur so ist Freiheit wirklich das höchste Gut.
Ein Sklave kann ja keinen Lohn erwarten (s. Lk. 17:9-10), nur der Freie. Aber welcher "Lohn" das bei uns Menschen sein wird, hängt davon ab, wie wir mit unserer Freiheit umgehen. "Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn" (6:23). Die Taufe und Myronsalbung (auch "Initiationsmysterien" genannt) stellen für uns den Beginn eines Transformationsprozesses vom Sünder zum Heiligen dar. Eine andere Interpretation - tut mir leid, liebe Weihnachts- und Osterchristen - gibt das Neue Testament nicht her. Vor allem nicht, wenn man es in seiner Vollständigkeit betrachtet, und sich nicht willkürlich einzelne Zitate herauspickt.
Zu dem soeben über das Leben aus dem Glauben Gesagten gesellt sich heute der römische Hauptmann aus Kapernaum hinzu, dessen Glaube in ganz Israel einzigartig war (s. Mt. 8:10). Der Mann hatte den Glauben zum wichtigsten Prinzip seines Lebens gemacht, und, umgekehrt, diesen Glauben aus dem konkreten Handeln heraus genährt (s. 8:8-9). Wie kaum ein anderer steht er sinnbildlich dafür, dass das eine ohne das andere nicht bestehen kann. Amen.