Predigt zum 4. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 6: 18-23; Mt. 8: 5-13) (28.06.2015)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir lesen heute im Evangelium nach Matthäus, wie Sich der Herr auf Bitten eines römischen Hauptmanns bereiterklärt, entgegen allen Gepflogenheiten in das Haus dieses Heiden zu kommen, um dessen schwerkranken Diener wieder gesund zu machen. Der Hauptmann jedoch sagt zum Herrn: „Sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“ (Mt. 8: 8). Der Mann weiß, wovon er redet: „Sprich nur ein WORT“... Für einen Offizier der stärksten Armee der Welt bedeutet „Geh!“, dass du gehst, „Komm!“, dass du kommst, und „Tue dies!“, dass es widerspruchslos getan wird. Aber hier vermengt sich dieses Wissen um die menschliche Macht des Wortes mit einem Glauben, den sogar kein Israelit vorweisen konnte (s. 8: 10). Das bietet für uns heute den Anlass, uns eingehend mit der Macht und der Bedeutung des WORTES zu befassen.
Wir alle wissen zwar, dass Worte Macht besitzen können. „Ich liebe dich!“ - diese Worte können den Menschen in einen Glücksrausch versetzen, wie eben Worte mit entgegengesetztem Inhalt auch ein Leben zerstören können. Die Macht des Wortes regiert die Welt: Politiker aller Ebenen kämpfen verbal um die Lufthoheit an den Stammtischen und ein beiläufig gesagtes Wort eines Bankiers kann ein ganzes Wirtschafts-Imperium in den Ruin treiben. Im Film „Sein größter Bluff“ mit Gregory Peck (1953) lässt allein die wohlbedacht lancierte Nachricht, dass der angebliche amerikanische Millionär Adams in die marode Goldmine „Good Hope“ seines Freundes investiert hat, die Aktienkurse der Londoner Börse rasant in die Höhe schießen... Und doch gehen wir Europäer leichtsinnig und sorglos mit unseren Worten um. Die bei uns verbreitete Redensart „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?!“ belegt, dass wir nicht zwingend zu dem stehen müssen, was wir noch vor kurzem von uns gegeben haben. Auf die Frage eines Reporters: „Herr Minister, wann haben sie zuletzt gelogen?“, antwortete ein Politiker: „Moment, wie spät ist es doch gleich?“ - und schaute auf seine Uhr... Vieles wird bei uns heute unverbindlich daher gesagt oder auch böswillig verfälscht.
Bei den Völkern des Ostens ist es jedoch nicht so. Bei Juden und Arabern ist das Wort wie eine konkrete Sache. „Salaam aleikum“ oder „Shalom alechem“ bedeuten, dass ich dir wirklich meinen Friedensgruß entbiete und es nun von dir abhängt, ob mein Friede von dir angenommen wird oder nicht (vgl. Mt. 10: 13). Wenn ein orthodoxer Christ zum ersten Mal ein Haus betritt, sagt er: „Friede diesem Hause!“, worauf die Gastgeber sagen: „Wir nehmen mit Frieden an!“ So war es zumindest einmal. Auch gab es früher noch den elterlichen Segen für die Kinder. Aber das ist lange her... Heute werden dafür vermehrt Segnungen von Wohnungen, Geschäften und Autos vorgenommen, weil die Leute auf magische Hilfe im Alltag hoffen. Dabei liegt die „Magie“ nicht in einer Formel oder einem Ritual, sondern in den WORTEN.
Japanische Wissenschaftler machten vor Jahren ein Experiment mit drei Karaffen frischen Wassers: jeden Morgen kam ein Labor-Mitarbeiter und sagte zum ersten Behälter freundlich „Guten Morgen“, das zweite Glas ignorierte er und das dritte „beleidigte“ er durch ein unzensiertes Schimpfwort. Nach Ablauf der natürlichen Haltbarkeitszeit für H2O war das Wasser im ersten Glas noch vollkommen frisch, im zweiten ungenießbar sowie von Kalkpartikeln zersetzt und im dritten war es gar zu einer übelriechenden klebrigen Masse verkommen.
Worte!... Mir fällt bereits seit Jahren auf, dass in mir bekannten russisch-jüdischen Familien niemals geflucht wird. Auch wenn diese längst russifizierten Menschen den mosaischen Glauben bestenfalls rein folkloristisch praktizieren oder schon vor langer Zeit zum Christentum konvertiert sind, hat sich bei ihnen die Achtung vor dem Wort als Gottes Gabe bewahrt. Hier ist zudem bewusst oder unbewusst das Wissen darum erhalten geblieben, dass im NAMEN einer Person nach dem Vorbild Gottes seine ganze Identität enthalten ist (s. Ex. 20: 7; Mt. 5: 9). Anders als bei ethnischen Russen hört man hier deshalb sehr oft zwei- oder dreifache liebevolle Verniedlichungen des Vornamens, selbst bei älteren Menschen (z.B. wird Simeon zu Senja – Senetschka - Senjuschetschka). So beginnt der Neuere Teil der Bibel nicht von ungefähr mit der Aufzählung von Namen, an deren Ende „Jesus“ steht (s. Mt. 1: 1-16): Gott wurde Mensch, auch dem Namen nach! Worte sind eben nicht nur Windhauch, bloß weil man sie nicht essen, trinken oder anziehen kann. Was sagt uns dazu die Heilsgeschichte? - Noah verfluchte nicht seinen Sohn Ham (der ja seine Blöße aufgedeckt hatte), da dieser bereits vorher beim Verlassen der Arche Gottes Segen erhalten hatte (s. Gen. 9: 1), sondern dessen Sohn Kanaan (s. 9: 24-27). Und Isaak hatte fälschlicherweise dem jüngeren Sohn Jakob den Segen des Erstgeborenen erteilt, doch als er seinen Irrtum bemerkt hatte, konnte er diesen Segen nicht mehr zurücknehmen. So bekam der ältere Sohn Esau nur einen Segen zweiten Ranges zugeteilt (s. Gen. 27: 27-29; 39-40). Diese Segnungen und Flüche haben bis heute in der Nachkommenschaft Bestand, was wohl auch im Bewusstsein der Juden haften geblieben ist. Der als Rabbi Jakob verkleidete Christ Buntspecht (alias Louis de Funés) und der als Rabbi Seligmann verkleidete Moslem Slimane finden zur Zeit des Yom-Kippur-Krieges (1973) im Quartier Juif von Paris Zuflucht vor ihren Verfolgern. Hier segnen die noch nicht enttarnten Pseudo-Rabbiner in der Synagoge David, den kleinen Neffen des echten Rabbi Jakob. Segen bleibt Segen. Somit war womöglich der von Herzen kommende Segen des im Kriegszustand mit Israel befindlichen Arabers Slimane sogar mehr wert, als der eines echten Rabbis?!.. Fast wie beim verfeindeten römischen Hauptmann, dessen Glaube größer war, als derjenige der frommen Juden...
Im Jahre 1998 ereignete sich das bis dahin schwerste Erdbeben in der Geschichte Japans. Da das Land, anders als z.B. Nepal oder Pakistan, bautechnisch auf solche Naturereignisse gut vorbereitet ist, war die Anzahl der Opfer und das Ausmaß der Schäden trotz der Schwere der Erschütterungen relativ überschaubar. Strom und Wasserversorgung waren aber unterbrochen. Der Direktor der Stadtwerke der Millionenstadt Kobe versprach, diese binnen vier Tagen wiederherzustellen. Als die Menschen nach Ablauf dieser Frist noch immer im Dunkeln bzw. auf dem Trockenen saßen, nahm sich der Mann das Leben. Und auch wenn solch ein Ehrenkodex in seiner extremen Konsequenz aus unserer Sicht grausam und maßlos übertrieben ist, zeigt sich hier, dass Worte und Taten in anderen Kulturkreisen noch miteinander zusammenhängen...
In unserer säkularisierten Alltagsrealität sieht es vollkommen anders aus. Warum gibt es im europäischen Sprachgebrauch so viele unflätige Ausdrücke? - Weil dem gesprochenen oder geschriebenen Wort keine große Bedeutung beigemessen wird. Man kann leicht etwas von sich geben, ohne hierfür haftbar gemacht zu werden. Doch in Gottes Augen ist es anders (s. Mt. 5: 22).
„Im Anfang war das WORT, und das WORT war bei Gott, und das WORT war Gott. Im Anfang war Es bei Gott. Alles ist durch das WORT geworden, und ohne das WORT wurde nichts, was geworden ist. In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat Es nicht erfasst“ (Joh. 1: 1-5). Dies ist der Prolog zum größten Mysterium: „Und das WORT ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzig gezeugten Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (1: 14).
Die Heilige Schrift ist unzweideutig: „Alles ist durch das WORT geworden!“ (vgl. hierzu Ps. 32: 6). Gottes Abbild in uns findet u.a. seinen Ausdruck darin, dass wir zur „sprachbegabten Schöpfung“ (slaw. словесная тварь) erkoren wurden, um Gott zu preisen! Deshalb auch das eindringliche Gebot, ehrfurchtsvoll und behutsam mit Worten umzugehen (s. Mt. 5: 37; 12: 36-37). Bis zur sog. Aufklärung wurde in Europa das Erlesenste, was dem menschlichen Geist entstammt – Malerei, Musik, Literatur, Architektur – Gott zur Ehre gewidmet. Die seither fortschreitende Verselbständigung des menschlichen Geistes führte in jeder nachfolgenden Generation zu einer schrittweisen Degradierung dieser schöpferischen Errungenschaften, so dass an die Stelle von Gottes Abbild ganz logisch die nahe Verwandtschaft mit den Primaten kommen musste. Die „Emanzipation von Gott“ prägt heute den Alltag unserer hochtechnisierten Welt. Wenn der Mensch nicht mehr Abbild Gottes ist, dann ist er nur noch Biomasse, dann hätte der Logos die Natur eines Affenmenschen angenommen. - Und was kommt dann als Nächstes: die Zoo-Ehe vielleicht?!..
Das fleischgewordene WORT Gottes erwies einem römischem Hauptmann und dessen kranken Diener Seine Liebe. Es spricht auch zu uns allen: „Segnet die, die euch verfluchen“ (Lk. 6: 28). Haben wir nun endlich begriffen, wie wir diese Welt mit Gottes Hilfe besser machen können?!
Der Segen des Herrn sei mit Ihnen allen! Amen.