Predigt zum Festtag des hl. Nikolaos, des Erzbischofs von Myra in Lykien (19.12.2014)
Liebe Brüder und Schwestern,
der heilige Nikolai hat im Leben eines jeden orthodoxen Christen eine besondere Bedeutung. Meine kirchliche Kindheit und Jugend verbrachte ich als Mitglied der russischen Gemeinden zu Frankfurt und München – beide haben den hl. Nikolai zum Patron. Zudem wurde ich in der Christi-Auferstehungskathedrale in Tokio - im Volksmund „Nikolai-do“ genannt, zu Ehren des hl. Nikolai (Kasatkin +1912), des Erleuchters von Japan - getauft und myrongesalbt, erhielt dort erstmals die Heilige Kommunion.
Aus meiner Kindheit habe ich noch die Patronatsfeste in Frankfurt in lebhafter Erinnerung. Jedesmal kam der greise Erzbischof Philothej (Narko, +1986) aus Hamburg zu uns und zelebrierte feierlich die Vigil. Noch heute klingen die mit zittriger Stimme vorgetragenen Worte des Erzbischofs aus der Lesung im Orthros (Morgenamt) in meinen Ohren und in meinem Herzen:
„Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht, und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt, Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen Mich, wie Mich der Vater kennt und Ich den Vater kenne; und Ich gebe Mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss Ich führen und sie werden Meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh. 10: 11-16).
Eines vorweg: als Kind dachte ich immer, Vladyka Philothej sagte das über sich selbst. Stimmte wohl auch irgendwie, denn er kam so authentisch herüber, und ein Kinderherz kann man nicht so leicht täuschen. Vladyka Philothej weinte fast immer selbst bei seinen langen aber sehr kurzweiligen Predigten, brachte zumeist auch alle Zuhörer zum Weinen (außer uns Kindern, die nicht verstanden, was es da zu Heulen gab). Einige Jahre später, als wir schon in München lebten, brachte Vladyka sogar die ganze griechische Gemeinde aus der benachbarten Salvatorkirche zum Weinen. Sie hatten vorübergehend keinen Priester und waren hellauf begeistert, als der russische Erzbischof eine Zusatzpredigt in bestem Griechisch hielt, auch wenn viele von ihnen keine Taschentücher dabei hatten, denn anders als die Russen waren sie nicht auf einen heftigen Angriff auf die Tränendrüsen vorbereitet. Für mich waren solche Erinnerungen jedenfalls prägend. Damals wie heute erkannte ich, dass das was (in welcher Sprache auch immer) gepredigt, auch gelebt wurde. Letzteres war im übrigen auch im Dreifaltigkeits-Kloster in Jordanville, N.Y. (USA) der Fall, welches das Priesterseminar beherbergt, in dem ich meine theologische Ausbildung absolvieren durfte. Und seitdem ist diese Authentizität für mich der Maßstab für jegliches Wirken und Tun in der Kirche. Menschliche Schwäche und Fehlbarkeit gehören in der Kirche immer dazu, aber Falschheit darf es niemals geben.
Jetzt, mit über vierzig Jahren Abstand, kann ich nun verstehen, warum das Gleichnis vom guten Hirten zum Fest eines Heiligen im Bischofsstand gelesen wird. Christus, der „gute Hirt“, hat den Aposteln und ihren Nachfolgern (den Bischöfen) die Sorge um Seine Herde hinterlassen. Letztendlich sehen die Gläubigen in ihrem Bischof ein Abbild des „guten Hirten“ - Christi. Und ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn dies mal nicht der Fall sein sollte...
Diese Lesung sagt doch schon alles über unseren Herrn und unseren Glauben aus. Es ist der Glaube an den liebenden Gott, Der Sich Selbst für Seine Untergebenen aufopfert, Dem kein Opfer zu groß wäre, um Seine Kinder zu retten. Es ist die Frohe Botschaft!.. Etwas Schöneres als das gibt es nicht! So stellt sich der Glaube und die Kirche nicht nur in diesem kurzen Abschnitt der Heiligen Schrift dar. Doch wie wird der Glaube an Jesus Christus von außen wahrgenommen?.. Die Frage sei erlaubt in einem Land, das doch seine kulturellen Wurzeln in der christlichen Tradition hat.
In diesen Tagen vernahmen wir aus den Nachrichten, dass die Fraktionen der Grünen und der Piraten im Leipziger Stadtrat gegen eine Bezuschussung des Katholikentages im Jahre 2016 in Höhe von 1.000.000 € wettern. Sofort fühlte ich mich an die Diskussionen um den Besuch von Papst Benedikt 2011 in Deutschland erinnert, als gewisse gesellschaftliche Kräfte vehement dagegen protestierten, dass dieser Besuch aus Steuermitteln finanziert wurde. Und wenn wir an die medienwirksam aufgedeckten verschiedenen Skandale der jüngsten Zeit denken, stellen wir fest: die Berichterstattung in den Medien führte zu einem rasanten Anstieg der Kirchenaustritte in Deutschland. Es ist unstrittig, dass die Menschen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Vertreter des Glaubens und dem Glauben als solchen erkennen, denn sonst hätten sie sich nicht von ihrer Kirche abgekehrt. Und das wollen wir erst einmal so festhalten und nun unsere Blicke auf andere Teile der Welt richten.
Im Land P. wurden 150 unschuldige Schulkinder ermordet (wieder mal, ist man fast schon geneigt zu sagen). Die reflexartige Reaktion praktisch aller Politiker und Medienvertreter der westlichen Welt: „Das hat mit der Religion garnichts zu tun!“
Entschuldigung! - Diese Leute lesen keine Horror-Romane, schauen keine gewaltverherrlichenden Action-Filme, haben sicher auch nie am Computer virtuell Krieg geführt. Das einzige was sie wohl je gelesen haben ist das heilige Buch ihres Glaubens! Ihre höchste Autorität ist ihr Prophet, ihre ganze „Inspiration“ schöpfen sie aus ihrer Religion und aus den Predigten ihrer Geistlichen!.. Mag sein, dass sie da etwas falsch interpretieren, aber angesichts einer solchen Sachlage zu behaupten, dass die Ursache für diese unvorstellbaren Gewaltexzesse jenseits der Religion zu suchen seien, ist schlichtweg eine bösartig bewusste oder sträflich naive Verkennung der Realität.
Ich respektiere sehr wohl jeden anderen Glauben, aber es müssen für alle die selben Regeln und Standards gelten. Und Lüge ist nun mal Lüge. Punkt.
Als in Russland das Urteil im Prozess gegen „Pussy Riot“ verkündet wurde, nahm eine junge Frau mit entblösster Brust vor laufender Kamera in Kiew eine Motorsäge in die Hand und fällte ein orthodoxes Holzkreuz, das auf einem der Plätze der Hauptstadt aufgestellt war. Danach verschwand sie – aus Angst vor Repressalien, wie sie selbst in die Mikrophone rief (heute wäre diese Angst wohl unbegründet). Vor unserer Kathedrale in Berlin hielt Tage später eine kreischende Menge eine Solidaritäts-Demo ab, unsere Diözese erhielt Protestschreiben von Bundestagsabgeordneten - all das, obwohl im vorliegenden Falle die Kirche weder das Urteil ausgesprochen bzw. vollstreckt, noch Anklage erhoben hatte oder für eine harte Bestrafung eingetreten wäre. Urplötzlich gab es aus Sicht der political correctness keine Vorbehalte mehr gegen eine Gleichsetzung der „Übeltäter“ und der Religion.
Wer bestimmt eigentlich die Kriterien, unter welchen das Verhalten einiger Vertreter einer Religion auf die gesamte Glaubensgemeinschaft oder gar auf den Glauben als solchen übertragen werden darf?!.. Warum nimmt man nicht den hl. Nikolai oder andere Heiligen zum Maßstab für den christlichen Glauben?
Solche Beispiele scheinen schon der Probelauf für das zu sein, was noch kommen wird. Mit aller Macht wird in Zukunft versucht werden, den wahren Glauben zu verunglimpfen und alle, die ihn bekennen, an den Pranger zu stellen. Dazu bedarf es natürlich eines gigantischen medialen Lügenapparats, der wohl schon kurz vor der Vollendung steht.
Wir dürfen aber getrost sein. Gott hat es gefügt, dass die myronströmenden Gebeine des heiligen Nikolaos dem Zugriff der Sarazenen entzogen und heute für uns zugänglich sind. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Gebete des Heiligen immer mit uns sein werden. Er hatte als weißhaariger Greis die Kraft und den Mut, das schon über den Köpfen dreier unrechtmäßig Verurteilter erhobene Schwert der Hand des Henkers zu entreißen. Um seinen Beistand bitten wir, wenn die Zeit für uns gekommen sein wird. Lasst uns alle standhaft sein.
Amen.
(Hebr. 13: 17-21; Lk. 6: 17-23)