Predigt zum Hochfest der Geburt der Allerheiligten Gottesgebärerin (Phil. 2:5-11; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (21.09.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
die Geburt der Gottesgebärerin „verkündete Freude dem ganzen Erdkreis“ (s. Troparion). Hier ist nicht von einem einmaligen Ereignis mit kurzfristiger Freude die Rede. Natürlich ist die Geburt eines Kindes immer ein freudiges Ereignis, das bestätigt auch unser Herr (s. Joh. 16:21). Im Falle der Geburt eines Kindes von hochbetagten Eltern, die bis hohe Alter keine Kinder bekommen konnten, umso mehr. Es ist überliefert, dass die heiligen Eltern Joachim und Anna ein großes Fest in Jerusalem gaben und sich die Menschen mit ihnen darüber freuten, dass „die Schande der Kinderlosigkeit“ (s. Kondakion) von ihnen genommen wurde. Doch selbst wenn sich diese frohe Kunde in Jerusalem und meinetwegen auch in seiner Umgebung herumgesprochen haben mag, wie konnte dem ganzen Erdkreis Freude verkündet werden, wie es die Kirche in ihrer Hymnographie lehrt? Um darauf antworten zu können, müssen wir uns von der beengten Perspektive auf die Zeitgeschichte loslösen, uns also nicht auf ein bestimmtes Datum bzw. einen Ort beschränken, sondern unseren geistlichen Horizont für die heilsgeschichtliche Dimension dieses Ereignisses öffnen. Nicht nur Joachim und Anna sind vom Fluch der Kinderlosigkeit befreit worden, sondern „Adam und Eva wurden von der tödlichen Verwesung“ (s. Kondakion) erlöst. Die ganze Menschheit frohlockt über den Beginn ihrer Errettung (vgl. Troparion zum Fest der Verkündigung). Was hier im Hause des Joachim in Jerusalem unweit des Löwen-Tores geschah, war von wahrhaft kosmischer Tragweite, ein Ereignis, das die Engel in Erstaunen versetzte. Gott hatte in Seinem Heilsplan so viele Jahrhunderte hindurch über Generationen hinweg die Geburt eines Menschen von heiligen Eltern vorbereitet, der voll und ganz Seinen Vorstellungen bei der Erschaffung des Menschen entsprach (vgl. Röm. 8:28-30). Hatte Eva sich noch von der Schlange verführen lassen, so dass sie Adam mit in den Abfall von Gott hineinzog (s. Gen. 3:4-6), so sündigte Maria, von klein auf nicht einmal im Gedanken (hl. Siluan vom Athos). Nur in so einem Gefäß konnte Gott Wohnung nehmen und nur aus dem Blute dieser reinen Jungfrau konnte der Erretter der Welt menschliche Gestalt annehmen. Die Entfremdung von Gott im Garten Eden zog auch die Entfremdung der Menschen voneinander nach sich (s. Gen. 3:7-12). Die Folge davon war die Ausbreitung der Sünde in der ganzen Welt, beginnend mit der ersten Generation nach Adam und Eva, welche dieses „Erbgut“ durch die Empfängnis im Mutterleib weitergab. Doch diese unheilvolle Kette der Verbreitung der „tödlichen Verwesung“ ist in der Geburt Christi aus der Jungfrau gesprengt worden; von nun an kann der Mensch in der Taufe von dieser Spirale des Todes befreit werden und zu einem in Christus Gott erneuerten Leben gelangen (s. Röm. 6:3-11).
Die Freude, die den ganzen Erdkreis erfüllte, sehen wir in der Mutter Gottes sofort nachdem Sie den Gottmenschen in Ihrem Leib empfangen hatte. Sie denkt nicht an sich, sondern hat nach der Verkündigung durch den Engel die Sorge um Ihre betagte und ebenfalls schwangere Verwandte im Sinn (s. Lk. 1:36), wie wir es aus der Lesung zum Orthros erfahren. Und was erleben wir im Hause des Zacharias im Bergland von Judäa unweit von Jerusalem? Selbst das ungeborene Kind im Schoße seiner Mutter kann seine Freude nicht zurückhalten (s. Lk. 1:44). Überall wo die Mutter unseres Herrn erscheint, bringt Sie unsagbare Freude mit sich (s. Lk. 1:43). Alle Heiligen lebten in der vollendeten Freude der Gemeinschaft mit Ihr, und auch uns steht diese gnadenvolle Gemeinschaft ganz besonders zu den Festen der Gottesmutter offen. Sie, die von allen Menschen den größten Anteil an unserer Versöhnung mit Gott (s. 2 Kor. 5:19-20) hat, ist ja auch die Ursache für die Versöhnung der Menschen untereinander, weil Sie nach Ansicht der Kirchenväter die „zweite Eva“ ist, welche die Schuld der Ur-Ahnin getilgt hat. Aber wie kam das größte Wunder der Menschheit zustande?
Im Megalynarion (Величаниe) zum heutigen Fest besingen wir neben der Allerheiligsten Jungfrau auch Ihre heiligen Eltern. Sie waren dafür ursächlich, dass ihr Spross von der Mutterbrust an ständig im Glauben wuchs. Glaube bedeutet, dass man sich in seinem Leben nicht auf sich und seine Fähigkeiten verlässt, sondern auf Gott. Symbolhaft wird dies durch die Begebenheit im Hause Marthas und Marias, der Schwestern des Lazarus, zum Ausdruck gebracht. Die ältere, Martha, war übervoll der Freude über den Besuch des Herrn, doch sie übertrieb es mit der Beflissenheit um das leibliche Wohl, während Maria, die jüngere, nur zu Füßen des Herrn saß und Seinen Worten ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. Die vollkommene Erfüllung dieses Ideals der Hingabe zu unserem Herrn erleben wir nun in der jungfräulichen Mutter des Herrn, welche zunächst von Ihren heiligen Eltern und später von den Priestern im Tempel in dieser Hinwendung zu Gott unterwiesen wurde. Von Ihr steht geschrieben, dass Sie, wie modellhaft durch die jüngere Schwester Marthas angedeutet, alle Worte des Herrn in Ihrem Herzen bewahrte und sich gedanklich mit Gottes Wort auseinandersetzte (s. Lk. 2:19; 2:51). Dadurch ist Sie zum leuchtenden Vorbild für uns alle geworden. Sie hat durch Ihr „Ja-Wort“, das Sie Gott gab (s. Lk. 1:38), „das Bessere gewählt“ (Lk. 10:41). Was spricht dagegen, dass wir es Ihr, jeder auf seine individuelle Art und Weise, gleichtun?! Darin liegt doch der Weg zur geistlichen Vervollkommnung (Vergöttlichung, gr. theosis, nach der Terminologie der heiligen Väter), dass wir das Wort Gottes als Grundlage und Maßstab für unser gesamtes Denken und Tun nehmen, unser ganzes Leben vollkommen nach dem Willen des Herrn ausrichten! Nicht wie Martha, die noch in irdische „Sorgen und Mühen“ (Lk. 10:41) verstrickt war, sondern wie Maria – das Abbild der Mutter unseres Herrn. Amen.