Predigt zum sechsten Herrentag nach Pfingsten (Röm. 12:6-14; Mt. 9:1-8) (16.07.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
nach der Austreibung der Dämonen aus den beiden Besessenen von Gadara, von der die Lesung der letzten Woche handelte, kommt unser Herr wieder zurück in Seine Stadt. Die Erzählung von der Heilung des Gelähmten von Kafarnaum schließt sich (bei Matthäus) nahtlos an die vorgehende an und hat wie so oft in den Lesungen aus dem Evangelien am Herrentag den Glauben der Menschen zum Thema. Von den drei Synoptikern berichtet Matthäus am knappsten über die wunderbare Heilung des Gelähmten – so erwähnt er z.B. nicht, dass der Mann von seinen Freunden durch eine Öffnung im Dach des Hauses zu Ihm herabgelassen wurde – vgl. Mk. 2:4; Lk. 5:19). Was aber bei allen drei Evangelisten gemeinsam zu finden ist, sind die trostreichen Worte des Herr an den an die Tragbahre Gefesselten, hervorgerufen durch den Glauben seiner Freunde: „Als Jesus ihren Glauben sah, sagte Er zu dem Gelähmten: ´Hab Vertrauen, Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!`“ (Mt. 9:2; vgl. Mk. 2:5; Lk. 5:20). Diese Worte rufen bekanntlich den Unwillen der anwesenden Schriftgelehrten hervor, worauf Sich der Herr veranlasst sieht, aller Welt zu zeigen, dass Er, der Menschensohn, die Macht auf Erden besitzt, Sünden zu vergeben. Die darauf folgende wunderbare Heilung des Gelähmten ist aber keine bloße „Machtdemonstration“, die unser Herr ja in vielen anderen Fällen gerade zu vermeiden suchte, sondern die Stärkung des Glaubens an Ihn als den Sohn Gottes, Der allein unser aller Sünden vergeben kann. Die einfachen, herzensguten und frommen Menschen, für welche die Freunde des Gelähmten stehen, haben diesen Anfangsglauben, weshalb sie die Nähe zu unserem Herrn, und das allen Widrigkeiten zum Trotz, suchen. Die geistliche Oberschicht hingegen lehnt den zur Rettung der Menschheit gekommenen Messias ab, weil sie in Ihm einen unliebsamen Störenfried für das religiöse Establishment sieht. Mich erinnert das an die geistliche Führungselite im Abendland, die ihrem zumindest in Teilen noch gläubigen Kirchenvolk bei der Umwandlung der Heiligen Schrift zu einem Lehrbuch für „inklusive Sprache“ und „Gendergerechtigkeit“ mit Riesenschritten vorangeht. Aber nicht das ist es, was mich als orthodoxen Priester am meisten betrübt. Vielmehr schmerzt mich die völlige Indifferenz unserer eigenen Herde, die trotz des ungehinderten Zugangs zu Informationsquellen größtenteils rein gar nichts von ihrem Glauben weiß bzw. nichts wissen will. Gerade die, welche völlig sorglos nach eigenen Regeln leben und nicht einen Finger für ihren Glauben zu rühren gewillt sind, sollen aber wissen, dass der Widersacher leichtes Spiel mit ihnen haben wird. Vorbei sind die Zeiten, als man sich teilnahmslos als getaufter Heide der orthodoxen Kirche zugehörig fühlen konnte. Die kirchliche Situation in der Ukraine zeigt uns allen, dass das nicht mehr geht, denn jetzt heißt es: „Wer nicht für Mich ist, der ist gegen Mich; wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreut“ (Mt. 12:30). Wer sind denn die Leute, die heute orthodoxen Gläubigen ihre Heiligtümer gewaltsam entwenden und dann zweckentfremden – militante Atheisten, fanatisierte Heiden, ausländische Salafisten?!.. Nein, es sind getaufte, aber nicht praktizierende orthodoxe Christen, die ihren „Glauben“ als Bestandteil ihrer „nationalen Identität“ betrachten. Denn je nach Ausrichtung dieser manipulierten nationalen Identität kann es heute passieren, dass dieser oberflächliche „Glaube“ anstatt die Menschen durch die Mysterien der Kirche im einen Leib Christi (s. 1 Kor. 10:16-17; 12:13) miteinander zu vereinen (s. Gal. 3:28) diese gegeneinander aufbringt und die Menschen spaltet, so dass die lauwarmen „Christen“ plötzlich zu blindwütigen Feinden der Kirche werden. Ihr „Glaube“ kennt keine Liebe, sondern nur Hass. Er vereint nicht, sondern trennt nur. In einer derartigen Pelemele wird der nominelle Christ zu einer leichten Beute des obersten Feindes Gottes (s. Mt. 13:28).
Ich bin es mittlerweile satt, jedes Mal Eltern und Paten bei der Taufe zu erklären, wie wichtig es ist, dass ihre Kinder als echte orthodoxe Christen aufwachsen, wozu sie – Eltern und Paten – die größte Verantwortung tragen. Jeder hat heute mithilfe von Suchmaschinen 24/7/365 ungehinderten Zugang zu Informationen. Aber was tun, wenn der Wille gar nicht vorhanden ist? Was nützt es, wenn der Priester die Taufgesellschaft freundlich begrüßt und alle Gäste zuvorkommend behandelt, den Anwesenden die jeweiligen Handlungen und Gebete erklärt, über jegliches Fehlverhalten der schon etwas größeren Kinder hinwegsieht etc., wenn am nächsten Tag sofort wieder der Alltag beginnt und die Menschen keine Zeit für das Wichtigste im Leben haben (s. Mt. 22:5,8; Lk. 14:18-20)?!.. Sie alle – wir alle – müssen erkennen, dass die Grauzone zwischen Glauben und Unglauben keine Option für orthodoxe Christen ist. Wenn wir den Glauben annehmen, dann müssen auch entsprechende Taten folgen, gemäß dem Wort des Apostels: „Meine Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?“ (Jak. 2:14). Wer dem wahren Glauben anhängt, wird Gott „im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4:24). Wer dagegen den von den Aposteln überlieferten und von den heiligen Vätern unversehrt bewahrten Glauben durch pseudo-humanistische Surrogate wie „Toleranzdenken“, „Gleichstellung“, „Selbstbestimmung“, „Klimaschutz“, „Friedensethik“, „Freiheitskampf“; „Menschenrechte“ etc. bewusst oder unbewusst ersetzt, versündigt sich an dieser geistlichen Maxime des Evangeliums. Er wird die Welt so nicht retten können, dafür aber Schaden an seiner Seele nehmen (vgl. Mt. 16:26; Mk. 8:36; Lk. 9:25), wovor wir alle durch ein Leben als „ein Herz und eine Seele“ (Apg. 4:32) in der Kirche Christi bewahrt werden mögen. Es ist unsere einzige Alternative. Amen.