Predigt zum 4. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 6:18-23; Mt. 8:5-13) (05.07.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute kommt es bei der Lesung in der Göttlichen Liturgie wieder zu der bemerkenswerten Begegnung zwischen unserem Herrn Jesus Christus und dem römischen Hauptmann. Der römische Hauptmann bittet den Herrn nicht für sich, sondern für seinen Diener, und offenbart einen Glauben, der in Israel seinesgleichen sucht (s. Mt. 8:10 und Lk. 7:9). Von Bedeutung ist eins: die Liebe des Hauptmanns, die beispiellose Reinheit seines Herzens war ursächlich für diesen starken Glauben! Hätte er, der Vertreter der damaligen Weltmacht, sich sonst in die Niederungen der jüdischen religiösen Gepflogenheiten begeben, um einen umherziehenden Wanderprediger für einen seiner Diener zu bitten? Aus der Position der Stärke, nämlich als Eroberer gegenüber den Eroberten, vielleicht, aber mit einer derartigen Hochachtung und Rücksichtnahme (natürlich wusste er, dass er den Herrn in den Augen Seiner jüdischen Landsleute dadurch kompromittieren würde, dass Dieser in das Haus eines Heiden kommt)?! Welch ein Kontrast zu dem „Glauben“ einiger Vertreter der zeitgenössischen konfessionellen Mehrheitsgesellschaft, die in der Karwoche trotz der staatlich verordneten und kirchlich akzeptierten Quarantäne-Maßnahmen z.T. rüpelhaft und unflätig Einlass in die Dreifaltigkeits-Lavra in Sergiev Possad und andere Klöster und Kirchen begehrten (und letztlich erzwangen) und dadurch hunderte von Priestern und Diakonen, Mönchen und Nonnen, Theologiestudenten und Mitarbeitern ansteckten!.. In Kafarnaum hatten seinerzeit Einfühlungsvermögen und Zuvorkommenheit (vgl. Röm. 12:10) Leben gerettet, in Moskau, St. Petersburg, Kiew, Minsk, Zhirovitsy Diveevo und an vielen anderen Orten bewirkten anarchischer Ungehorsam und „Eifer ohne Einsicht“ (s. Röm. 10:2) die sinnlose Zerstörung menschlichen Lebens...
Glauben ist nicht bloß Sache des Intellekts. Dann müssten alle Wissenschaftler und Intellektuellen Heilige sein. Das Gegenteil ist aber oft der Fall (s. Mt. 11:25 und Lk. 10:21). Der römische Hauptmann offenbarte aber Nächstenliebe, gepaart mit Demut und Zuvorkommenheit, was seinen Glauben erst ermöglichte und ihm half, gesellschaftliche, politische, kulturelle, ethnische, psychologische und sogar religiöse Barrieren zu überwinden. Er besaß also substanziell das, was seinen formal gesetzestreuen jüdischen Zeitgenossen damals abging. Er ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass bei Heiden „die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist“ (s. Röm. 2:15) und dass wenn „der Unbeschnittene die Forderungen des Gesetzes beachtet“, ihm „das Unbeschnitten sein als Beschneidung angerechnet“ wird (s. Röm. 2:26). Was aber sind die „Forderungen des Gesetzes“ heute?..
Als die Kirche gegründet wurde, hielten die Gläubigen „an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (s. Apg. 2:42). Das ist es, wofür die ununterbrochen Kirche steht: Bewahrung der Glaubenslehre in kirchlicher Einheit, deren sichtbarer Ausdruck die heilige Eucharistie und der gemeinsame Gottesdienst ist. Ohne das gibt es keinen Glauben und keine Kirche! Und ohne die vollkommene Einheit im Glauben und ohne die lückenlose Bewahrung der Lehre der Apostel bleibt die gemeinsame (interkonfessionelle) Feier des „Abendmahls“ eine Farce. Die ersten Christen verharrten Tag für Tag einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens (s. Apg. 2:46). Auch wir konnten in den zurückliegenden Wochen die häusliche Gebetsgemeinschaft wiederbeleben – durch Zuhilfenahme moderner Kommunikationstechnik bzw. auch ohne dieselbe (s. Röm. 16:4; 1 Kor. 16:19; Kol. 4:15). Gelebter Glaube unter veränderten Vorzeichen! Gott sei Dank!.. Aber die formale Zugehörigkeit zur Kirche und das nominelle Christsein allein genügen nicht. Der Hauptmann von Kafarnaum war Heide, und übertraf doch die meisten frommen und rechtgläubigen Juden durch seine Tugendhaftigkeit und seinen festen Glauben. Ich hatte vor Wochen einen Mann mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, den ich, Gott sei Dank, vor seinem Ableben noch pastoral begleiten konnte, weil seine Frau, eine muslimische Kasachin, aus Liebe und Sorge um sein Seelenheil daran gedacht hatte, einen Priester zu rufen. Seine gesamte „orthodoxe“ Mischpoke wäre hingegen nie auf den Gedanken gekommen. Deshalb wundert es mich auch gar nicht, dass wir Christen weltweit nicht so zahlreich vertreten sind. In Byzanz und Russland, zum Beispiel, waren praktisch alle quasi per Dekret orthodox – und was waren die Folgen davon?!..
Nunmehr sind wir, die Übriggeblieben von damals, von Gott mit der Aufgabe betraut, den anderen den Glauben näherzubringen. Schon als Gott uns (vormalige Heiden) berief, machte Er keinen Unterschied zwischen uns und den damals rechtgläubigen Juden, da Gott, Der die Herzen kennt, unsere Herzen durch den Glauben gereinigt hatte (s. Apg. 15:8-9). „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“ (Mt. 10:8b). Geben wir es also weiter!
Das Buch der Psalmen beginnt mit den Worten: „Selig der Mann, der nicht ging in den Rat der Gottlosen, und auf den Weg der Sünder nicht trat und auf dem Sitz der Zerstörer nicht saß, sondern im Gesetz des Herrn ist sein Wille, und über Sein Gesetz sinnt er nach bei Tag und bei Nacht“ (Ps. 1:1-2). Das „Gesetz“ (oder den Glauben) kriegt man nicht ein für alle Mal durch die Taufe ins Erbgut eingeimpft – das „Gesetz des Herrn“ muss aktiv „gewollt“ sein, man muss über dasselbe unentwegt, in jeder Situation und ständig („bei Tag und bei Nacht“) sinnen. Selig ist deshalb derjenige, welcher den Weg der Sünder meidet (also moralisch lebt) und dem Rat der Gottlosen fernbleibt (d.h. gottesfürchtig ist). Glaube und Tugend sind unauflöslich miteinander verbunden. Der Glaube ohne konkrete Werke ist völlig wertlos (s. Jak. 2:14-17; 1 Kor. 13:2); die Tugend ohne den konkreten Glauben lässt dem Betreffenden aber immerhin noch die Möglichkeit, durch die Sprache des Herzens – die Liebe – zu Gott zu finden.
Wie es zu Zeiten der Aposteln keine Seltenheit war, so ist ist es auch heute nicht unüblich, dass Christen Nicht-Christen heiraten. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen dazu waren vor zweitausend Jahren gegeben, sie sind es heute mehr denn je wieder. Also können wir davon ausgehen, dass das, was damals galt, heute ebenso gilt: „Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, weiter mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht verstoßen. Auch eine Frau soll ihren ungläubigen Mann nicht verstoßen, wenn er einwilligt, weiter mit ihr zusammenzuleben. Denn der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt, und die ungläubige Frau ist durch den gläubigen Mann geheiligt. Sonst wären eure Kinder unrein; sie sind aber heilig“ (1 Kor. 7:12-14). Wohlgemerkt, es heißt nicht, dass der ungläubige Partner zwingend gläubig wird (oder, bezogen auf unsere Zeit, den orthodoxen Glauben annimmt), sondern, dass er/sie „geheiligt“ wird. Das geschieht aber nicht dadurch, dass der orthodoxe Partner den nicht-orthodoxen ständig drängt, sich möglichst zeitnah taufen zu lassen, ihm oberlehrerhafte Vorhaltungen in allen Lebenslagen bezüglich gut und böse, richtig und falsch, rein und unrein etc. macht. Denn gerade dadurch sollten wir uns z.B. von den Muslimen unterscheiden, die eine Blitz-Konvertierung (ohne Rücktrittoption) anstreben, noch bevor der Mensch begreift, wie ihm geschieht. Eine eheliches Zusammenleben mit einem wirklich gläubigen Partner in Liebe kann dagegen Änderungen im Herzen und Bewusstsein des nicht-gläubigen hervorrufen bzw. die vorhandenen positiven seelischen Eigenschaften weiter fördern. Ob der andere Partner aber dann von sich aus den konkreten Glauben annimmt, das bleibt in Gottes Hand. Jedenfalls bleibt der Apostel in dieser Frage unkonkret. Er scheint aber andeuten zu wollen, dass Gott für alle Menschen verschiedene, auf sie zugeschnittene Wege offen lässt (s. 1 Kor. 7:16). In Frieden und Einträchtigkeit (s. 7:15) kann dies wohl bewerkstelligt werden, durch Bevormundung und Dominanzstreben hingegen nicht. Wie gesagt, die Rede ist von der Möglichkeit, Ungläubige dem Glauben an Gott näherzubringen. Das Gericht Gottes beginnt aber jetzt schon im Hause Gottes; für alle anderen ist noch Zeit, dem Evangelium doch noch zu gehorchen, um dem bösen Ende zu entfliehen (s. 1 Pet. 4:17). Alles soeben Dargelegte bedeutet aber nicht, dass im Umkehrschluss die konfessionelle Zugehörigkeit irrelevant oder zweitrangig ist. Für uns Orthodoxe gibt es kein „Alternativmodell“ zum kompromisslosen Festhalten am überlieferten Glauben (s. Gal. 1:6-9). Für alle anderen gibt es aber womöglich Wege, die nur Gott allein kennt. „Ist denn Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja, auch der Heiden, da doch gilt: Gott ist ´der Eine`. Er wird aufgrund des Glaubens sowohl die Beschnittenen wie die Unbeschnittenen gerecht machen“ (Röm. 3:29-30). Wie? - Gott weiß es. Noch ist aber Zeit für alle, diesen Glauben zu finden, bis zu dem Tag nämlich, an dem Gott „das, was im Menschen verborgen ist, durch Jesus Christus richten wird“ (s. Röm. 2:16b). Amen.