Predigt zum Hochfest des Einzugs des Herrn in Jerusalem / Palmsonntag (Phil. 4: 4-9; Joh. 12: 1-16) (21.04.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
mit dem heutigen Tag beginnt liturgisch das, wozu wir uns seit mehreren Wochen durch Gebet und Fasten vorbereiten. Aber es geht um viel mehr als das. Im spirituellen Sinne durchleben wir ab nun die Ereignisse, um deren willen unser Herr in die Welt gekommen war. Das ganze Kirchenjahr, das ganze bisherige Leben Jesu von Nazareth, die ganzen drei Jahre Seines missionarischen Auftretens, die gesamte biblische Geschichte seit Erschaffung der Welt kulminieren im Erlösungswerk Christi, zu dem Er sich heute auf dem Rücken eines Füllens in die heilige Stadt begibt. Am Vortag des Geburtsfestes unseres Herrn sangen wir noch, dass Christus geboren wird, um die zuvor entstellte Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen wiederherzustellen. Das vollzieht sich jetzt! Es ist der letzte Schritt zur Errettung des Menschen, und „der Menschensohn geht Seinen Weg, wie die Schrift über Ihn sagt“ (Mt. 26:24). Es ist der schwerste Gang seit Menschengedenken, dient aber der Erfüllung von Gottes ewigem Ratschluss von der Errettung der Menschheit.
Der Mensch ist nach Gottes Abbild geschaffen. Er ist als Kranz der Schöpfung mit einem blendenden Verstand, einem reinen Herzen und einem freien Willen ausgestattet worden, so dass er die selige Gemeinschaft mit Gott im Garten Eden genießen konnte. Doch durch den Sündenfall änderte sich das schlagartig. Von der List der Schlange verführt, wollte er selbst sein wie Gott, versuchte, ohne Gott sein Glück zu finden – und fiel von der seligen Gemeinschaft mit seinem Schöpfer ab. Von nun an gilt sein Bestreben irdischen Dingen, mit denen er aber dauerhaft sein Verlangen nach Glück niemals befriedigen kann. Doch es gibt Hoffnung in Person des von Gott verheißenen Messias. Das Alte Testament mit seiner Geschichte des Volkes Gottes ist ein über Jahrhunderte gesammelter angestauter Ausdruck der Erwartung der Erlösung durch den Gesalbten Gottes. Zum Abschluss des Alten Bundes hält der greise Simeon den Erlöser auf den Armen und prophezeit, dass Dieser dazu bestimmt ist, dass „viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden“ (Lk. 2:34). Jetzt ist der Moment gekommen! Jesus Christus „wird zum Zeichen, dem widersprochen wird“ (ebd.); Er wird für uns den Tod erleiden und uns seine Gemeinschaft anbieten, die in der Selbstverleugnung, im Tragen des Kreuzes und der Bereitschaft, für Christus und Sein Evangelium zu sterben, besteht. Dadurch und nur dadurch können wir von der Knechtschaft des Teufels befreit werden und die himmlische Glückseligkeit wiedererlangen. Der Widersacher selbst wurde als vormals lichtester Engel dazu verdammt, bäuchlings auf dem Erdboden zu kriechen und Staub zu fressen (s. Gen. 3:14); nunmehr verführt er den Menschen dazu, mit allen Kräften der Seele und des Leibes „des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben“ (1 Joh. 2:16, vgl. Gen. 3:6) anzustreben, damit sie dem zweiten (und endgültigen) Tod (s. Offb. 2:11) verfallen. Doch nun naht die Rettung: Jesus Christus erneuert die gefallene menschliche Natur, widersteht als „der letzte Adam“ (1 Kor. 15:45) der Versuchung (s. Mt. 4:1-11; Mk.1:12; Lk. 4:1-13) und kann nun, „da Er Selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, (...) denen helfen, die in Versuchung geführt werden“ (Hebr. 2:18).
Jetzt sind wir am Zuge. In den zurückliegenden Tagen und Wochen bemühten wir uns nach Kräften, unser verfinstertes Herz, unseren benebelten Verstand und unseren irregeleiteten Willen durch ein Leben im kirchlich gesegneten Gottesgehorsam wieder in Ordnung zu bringen. Durch Unterdrückung der Fleischeslust, des Geltungsdrangs und des Hochmuts wollen wir auf Seiten von Gottes Wahrheit stehen. Dies tut besonders Not, heute wie damals.
Wie reagieren denn die Massen auf die Ankunft des Messias? Sie empfangen Ihn als einen, Der ihnen inmitten der Wüste Brot gibt, der zahlreiche Wunder vollbringt – als einen, mit Dessen Hilfe sie ihre politischen Ziele verwirklichen wollen. Sie begegnen ihm nicht als Schöpfer des Alls, nicht als Erlöser der Seelen, sondern als rein irdischem Heilsbringer. Sie vergessen ganz, dass Er, der Lazarus aus dem Grabe gerufen hat, gleichzeitig auch der Überwinder des ewigen Todes ist. Deshalb ist es an Tragik nicht zu übertreffen, wenn die Menschen – damals wie heute – nur Zeitliches im Sinn haben. Es darf nicht sein, dass der Glaube an die Auferstehung selbst zum Osterfest ins Hintertreffen gerät. Die Warnung: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ (1 Kor. 15:32b). Also darf auch das „Fest der Feste“ in einer Woche nicht bloß aus Essen und Trinken (d.h. ohne die Auferstehungsfreude, vgl. 1 Kor. 11:22) bestehen, sonst wird da, wo sich in den Seelen keine Auferstehung vollzieht, der Tod unweigerlich die Folge sein. „Essen und Trinken“ können dagegen, wenn richtig verstanden, zur Wegzehrung ins ewige Leben führen (s. Joh. 6:54). Das ist nämlich unser Anteil am Neuen Bund Christi. Die hinter uns liegende Zeit der Läuterung sollte im Grunde nur dem einen Ziel dienen, dass wir am Großen Donnerstag würdig vom Leib und Blut des Herrn, „unseren Paschalamm“ (1 Kor. 5:7), kosten. Wer aber „unwürdig von dem Brot ist und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn“ (1 Kor. 11:27). Auch hier hängt alles nur von der Frage ab, ob der Betreffende sich nach Himmlischen oder bloß Irdischem sehnt. Die Heilsgeschichte wiederholt sich immer wieder – im Leben ganzer Völker wie auch in dem eines jeden von uns. Der Herr Jesus Christus ist „der Stein, an den man anstößt, der Felsen, an dem man zu Fall kommt. Eine Schlinge und Falle wird Er sein für alle, die in Jerusalem wohnen. Viele stolpern darüber, sie fallen und zerschellen; sie verstricken und verfangen sich“ (Jes. 8:14b-15a). Es gibt nur entweder oder, aber nichts dazwischen. Amen.