Die orthodoxe Ikonographie zum Fest der Geburt Christi
Das Motiv der Geburt Christi gehört sicher zu den beliebtesten Themen der christlichen Kunst - vor allem im Abendland, wo vielfältige Krippendarstellungen oft eine romantische liebliche Szenerie mit starken Genreelementen zeigen. Demgegenüber ist die klassische Gestaltung der Ikonographie des Festtages in der Orthodoxen Kirche wesentlich theologischer angelegt und erschließt sich vielleicht nicht in allen Einzelheiten auf den ersten Blick.
Wie für viele Themen der orthodoxen Sakralkunst bieten auch hier die liturgischen Hymnen des Tages einen guten Einstieg in die Interpretation des Bildes, so etwa die Aposticha der Vesper zum Weihnachtsabend: „Heute gebiert die Jungfrau den Schöpfer von allem. Eden bringt dar die Höhle. Und der Stern sagt an Christus, die Sonne, denen im Dunkel. Mit Gaben beten an die Magier, die im Glauben erleuchtet. Und die Hirten sehen das Wunder, da die Engel lobsingen: Ehre sei Gott in den Höhen!“
Damit sind alle wesentlichen Elemente genannt, die das heutige ikonographische Schema der orthodoxen Christgeburtsdarstellung ausmachen, welches seine endgültige Ausgestaltung in nachikonoklastischer Zeit erfahren hat.
Die literarischen Vorlagen sind natürlich in erster Linie die Evangelienberichte von der Geburt des Erlösers (also Mt 1,18-25 und Lk 2,1-20). Weitere Teilmotive der später ausgeformten narrativen Ikonographie sind allerdings auch den Kindheitsevangelien der Apokryphen und später - wie schon gesagt - den zumeist aus der früh- bis hochbyzantinischen Zeit stammenden liturgischen Hymnen entnommen.
Dabei hat sich das Motiv im Laufe der Jahrhunderte immer mehr vervollständigt, allerdings auch verkompliziert, besonders in der detailfreudigen, reich mit breit narrativ angelegten Nebenszenen versehenen Ikonographie, wie sie vor allem in Russland seit dem Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts anzutreffen ist. Gelegentlich ist dort - so wird man kritisch anmerken - der eigentliche Gedanke des Christi-Geburts-Bildes und die Klarheit seiner Gestaltung durch eine Überfülle der Nebenszenen verschleiert. Man muss allerdings sagen, dass solche Sammelbilder mit einer Häufung von Szenen bereits auf frühe syrische Vorbilder zurückgehen und eine an Nebenszenen reiche Ikone sich bereits im 11. Jahrhundert im Dornbusch- (Katharinen-) Kloster auf dem Sinai findet.
Sehr schlicht sind demgegenüber die ältesten bekannten Darstellungen der Geburt Christi seit dem Beginn des 4. Jh., etwa auf dem Sarkophag des Marcus Claudianus um 330. Dargestellt werden dort weder Maria noch Joseph, das eingewickelte Kind liegt vielmehr in einem flachen Futtertrog, hinter ihm stehen Ochs und Esel (nach Jes 1,3 bzw. dem Septuaginta-Text von Hab 3,2). Auf diese Elemente beschränkt sich die ganze Darstellung: Der Schöpfer verbindet sich mit der Schöpfung!
Seit etwa 340 wird die Anbetung der Magier mit ins Bildschema übernommen, derer nach orthodoxer Tradition auch am 25. Dezember gedacht wird. Ab dem 5. Jahrhundert - also in der Folge des III. Ökumenischen Konzils 431 - rückt die Theotokos immer mehr in den Mittelpunkt der Darstellung, teilweise thronend und mit dem Kind auf dem Schoß, vor allem aber auf dem Wochenbett, der Kline, liegend. Hierbei dürften antike Geburtsszenen, etwa jener des Dionysios oder Alexandros des Großen, als formale Vorbilder gedient haben.
Diese Darstellung mit ihrer Betonung der wahren Menschwerdung des Gottessohnes und gleichermaßen der Gottesgebärerinnenschaft Mariens wurde für die orthodoxe Kunst charakteristisch: In einer Höhle liegt die Jungfrau Maria auf der purpurfarbenen, oft reich mit floralen Goldornamenten verzierten Kline, ein Hinweis auf den neugeborenen König der Juden (Mt 2,2).
Wesentlich jünger ist eine zweite, besonders in der russischen, aber gelegentlich auch in der griechischen Ikonenmalerei seit dem 16. Jahrhundert ausgeformte, sehr wahrscheinlich von westeuropäischen Bildern übernommene Ikonographie mit der ursprünglichen verbunden, nämlich die der anbetenden Gottesmutter, die mit erhobenen Händen neben ihrem Kinde bzw. der Krippe sitzt. Gelegentlich haben Künstler auch eine Kombination beider Darstellungsweisen gewählt, insofern die sitzende Gottesmutter auf der - daher fast aufrecht stehenden - Kline gemalt ist.
Ihr gegenüber liegt stets das göttliche Kind in der sarkophagartigen Krippe, die als Anspielung auf das Grab Christi und somit seinen Erlösungstod verstanden werden darf. Hinter der Krippe sind zu Häupten des Kindes zumeist wieder Ochs und Esel bzw. ihre Köpfe sichtbar – eben diese Anspielung auf Jes 1,3 („Der Ochse kennt den Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“). Daneben stehen in der Regel zu Häupten des Menschgewordenen Engel, die sich mit ehrfürchtig verhüllten Händen anbetend verneigen.
Die Gottesgebärerin ist zumesi ganz in das Bergmotiv bzw. die Höhle einbezogen: Ihr Leib bildet gleichsam dessen Zentrum, denn die Worte des Propheten Habakuk (3,2 LXX) werden in der orthodoxen Tradition ja als eine alttestamentlich-messianische Prophezeiung verstanden: „Gott kommt von Süden, und der Heilige aus dem Berge, beschattet vom Walde“, wie es im Morgengottesdienst der Christgeburt heißt: „Als Reis aus der Wurzel Jesse und als Blume aus ihr, o Christus, bist du entsprossen aus der Jungfrau, aus dem Berge, vom Walde beschattet, Gepriesener, kamst fleischgeworden aus der vom Manne Unberührten, du Gott und Unstofflicher: Ehre sei deiner Macht, Herr!“· (Irmos der 4. Ode des Kanons von Bischof Kosmas von Maiouma, um 700).
In das Bergmassiv gestellt sind bei vielen jüngeren, vor allem, aber nicht nur, russischen Ikonen schon einige Nebenszenen, so etwa die beiden Hebammen, welche den Neugeborenen baden. Diese Hebammen, denen die Überlieferung die Namen Zelomi und Salome gibt, tauchen schon im um 150, wohl in Ägypten entstandenen „Protevangelium des Jakobus, des Herrenbruders“ auf und werden dort als Zeuginnen für die wahre Menschwerdung des Erlösers verstanden, der all das braucht, was eben Menschen brauchen, wie auch als Zeuginnen für die Jungfräulichkeit seiner Mutter. Darüber hinaus darf man in der Badeszene auch einen symbolischen Hinweis auf die Taufe Christi bzw. allgemein das Mysterion der Taufe sehen, zumal das Badegefäß auf vielen Ikonen wie ein Taufbecken gestaltet ist.
Zumeist unterhalb der Höhle sieht man den sinnenden Joseph, vor dem eine in ein Fell gehüllte und auf einen Stock gestützte Gestalt steht. Diese Figur hat in der Kunstgeschichte sehr unterschiedliche Deutungen erfahren: Manche sehen in ihm einfach einen Hirten, andere einen Versucher; möglicherweise hat sich diese Person aber auch durch ein Missverstehen der Gestalt des Propheten Jesaja entwickelt, der – wenn auch relativ selten und dann manchmal mit einer Schriftrolle mit dem Text von Jes 7,14 - als Deuterfigur auf Christgeburtsikonen zu sehen ist. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Deutung der Figur im Laufe der Zeit gewechselt hat und daher auch vom Künstler in verschiedenen Traditionen bzw. Zeitepochen unterschiedlich verstanden worden ist.
Am wahrscheinlichsten und naheliegendsten dürfte aber grundsätzlich die Deutung dieser Gestalt als der eines Hirten sein, der Joseph die Kunde von der Erscheinung der Engel auf dem Hirtenfelde bringt. Denn auf vielen Ikonen sehen wir - in genau der gleichen Gewandung, Haar- und Barttracht wie Physiognomie - den Mann noch einmal dargestellt, und zwar als einen der bei ihren Herden wachenden Hirten, denen der Engel die Kunde von der Geburt des Erlösers bringt (vgl. Lk 2,8 ff.).
Diesen eigentlichen klassischen Geburtsszenen wurden auf etlichen, zumeist russischen Ikonen seit dem 18.Jahrhundert ein mehr oder minder ausführlicher Kreis von Motiven zugeordnet, der weitere – teils neutestamentlich belegte, teils apokryphe - Geschichten in kleinen Nebenszenen bildlich umsetzt: je nach Größe der Tafel, aber naürlich auch der Fähigkeiten des Malers sind dies mehr oder minder viele solche Nebenszenen, deren Anordnung auch von Ikone zu Ikone abweichen kann. Zu erwähnen sind hier besonders die aus dem Bereich der mittelrussischen Malerdörfer Palech und Mstera stammenden, oft sogar relativ kleinformatigen Ikonen des 10. Jahrhunderts, die in bemerkenswert qualitätvoller Miniaturmalerei alle nachstehend im Einzelnen erwähnten Motive beinhalten.
Meist am Bildrand links oben (vom Betrachter aus gesehen) folgen die Magier dem Stern, um dem neugeborenen König zu huldigen (vgl. Mt 2, 1 ff.). Übrigens sind diese drei Magier in der orthodoxen Malerei nicht wie im Abendland als Repräsentanten der Kontinente (mit einem Afrikaner unter ihnen), sondern der Lebensalter gezeigt, alaso als ein bartloser Jüngling, ein Mann mittleren Alters und ein weißbärtiger Greis.
Unter den Randszenen ist in der Regel ihre Begegnung mit Christus und seine Anbetung dargestellt (Mt 2,11), „darbietend lauteres Gold dem König der Äonen und Weihrauch dem Gotte über alles, Myrrhe aber dem Unsterblichen, der da drei Tage im Tode verblieb“, wie es im Festhymnus heißt. Noch zweimal begegnen uns auf etlichen Ikonen die Magier, nämlich zum einen, wie ihnen ein Engel im Traum erscheint und befiehlt, nicht zu Herodes zurückzukehren (Mt 2,12), und sodann - zumeist in der (vom Betrachter aus) rechten oberen Bildecke - bei ihrem Heimweg.
Auf etlichen Ikonen ist als weitere Szene (oft In der unteren linken Bildecke) die Beratung des Königs Herodes mit den Schriftgelehrten, wo der neugeborene König der Juden zu suchen sei (vgl. Mt 2,2-6), platziert, weiter - gewöhnlich am unteren Bildrand in der Mitte - in einer bewegten Szene der Kindermord von Bethlehem (Mt 2,16): Soldaten schlachten die Kinder vor den Augen ihrer wehklagenden Mütter, denn „Rachel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen“ (Mt 2,18).(vgl. Jer 31,15)
Derjenige, dem das Gemetzel galt, aber wurde gerettet, denn ein Engel befahl Joseph im Traum, mit dem Kind und seiner Mutter nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13 f.). Auch diese Szene wird des öfteren auf sehr szenenreichen Ikonen der Christgeburt dargestellt: Joseph führt das Maultier, auf dem Maria sitzt, die wiederum Christus als Thron dient. Es folgt zumeist noch ein Knabe mit einem Bündel, der Überlieferung nach ein Sohn Josephs aus seiner ersten Ehe.
Doch noch weitere Kinder entgehen dem Mord zu Bethlehem, so berichten die apokryphen Evangelien, vor allem das „Protevangelium des Jakobus“, und manche Ikonen zeigen dies auf zwei weiteren kleinen Szenen, nämlich wie die Base Mariens Elisabeth und ihr Sohn Johannes, der spätere Täufer des Herrn, vor den Blicken der Häscher verborgen wurden, indem ein Berg sich öffnete und sie einließ, und wie die Mutter des Nathanael, eines weiteren Verwandten des Herrn, ihr Kind unter einem Feigenbaum aussetzte, wo es der Aufmerksamkeit der Schergen entging.
Doch Herodes und seine Schergen wussten zu rächen: So wurde nach der Überlieferung der Vater des Johannes, der Priester Zacharias, vor dem Altar des Tempels erschlagen, denn er verriet nicht, wo sein Sohn war (Protjak 23). Dies zeigt eine ebenfalls auf manchen Ikonen zu findende und dann zumeist in der unteren rechten Bildecke platzierte Szene. Obwohl es sich hier um eine sehr alte Überlieferung handelt, ist sie nicht neutestamentlich begründet, vielmehr liegt hier möglicherweise eine (Fehl-) Deutung von Mt 23,35 vor, da sich das Herrenwort in Wirklichkeit wohl auf ein alttestamentliches Geschehen bezieht (vgl. 2 Chr 24,20 f.).
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