Kapitel 1 - Kindheit, Knabenalter und Jugend
Optina Starez Nektarij wurde im Jahre 1853, in der Stadt Jelez[1]/ Orlovsker Gouverment, in der Familie von Wassilij und Elena Tichonow, tiefgläubiger und ehrfürchtiger Menschen, geboren. Der Vater war ein Arbeiter an einer Mühle, die Mutter war eine Lohnarbeiterin.
Der Junge wurde in der Stadtkirche getauft, die zu Ehren des gottseligen Sergius von Radonesch[2] geweiht worden war. Er bekam den Namen Nikolai. Die Namen seiner Taufpaten waren Nikolai und Matrona. Der kleine Nikolai betete für sie und seine Eltern allezeit. Als der Knabe sieben Jahre alt wurde, starb sein Vater. Vor seinem Heimgang segnete der Vater den Sohn mit der Ikone[3] des Hierarchen Nikolaus[4] und vertraute somit das Kind seiner Fürsorge an.
Von dieser Ikone trennte sich der Starez sein ganzes Leben lang nicht. Außer Nikolai blieben zur Lasten der Mutter noch einige jüngere Kinder, die in Kürze an Hunger und Krankheiten verstarben.
Erzählungen aus der Kindheit fing Starez Nektarij oft mit folgenden Worten an: „Es war einmal in meinem Säuglingsalter, als ich mit meinem Mütterchen lebte. Zwei waren wir auf der weiten Welt und noch ein Kater lebte mit uns. Wir gehörten der untersten Volksschicht an und waren deshalb arm. Wem sind solche von Nutzen?“
Aus früherer Kindheit des Starzen ist der folgende Vorfall bekannt: Nikolai konnte noch nicht gehen. Einst spielte er bei seiner Mutter und nebenan saß sein Kätzchen, dessen Augen hell strahlten. Der Junge schnappte sich eine Nadel und beschloss damit, ein Auge seines Haustieres auszustechen, um nachzuschauen, was darin so glänzt. Doch seiner Mutter gelang es, ihm auf die Hand zu schlagen, eher er das arme Tier berührte. „Oh, Nikolai! Wenn du dem Kätzchen das Auge ausstechen wirst, so wirst du das gleiche Schicksal erleiden. Gott behüte dich!“, sagte sie.
Nach vielen Jahren, schon als Priestermönch, erinnerte sich Vater Nektarij an diese Geschichte. Einst kam er zum Wasserbrunnen der Skite, wo eine Schöpfkelle mit spitzem Griff hing. Zur selben Zeit hob ein anderer Mönch, der Vater Nektarij nicht bemerkte, die Kelle so auf, dass die Spitze sich direkt auf dessen Auge zu bewegte und nur im letzten Augenblick gelang es Vater Nektarij ihr auszuweichen. „Wenn ich damals dem Kater das Auge ausgestochen hätte, würde ich jetzt ohne ein Auge sein“, sprach er. „Offenbar musste all dies geschehen, damit meine Unwürdigkeit eine Lehre erhielt, wie sich alles im Leben, von der Wiege bis zum Grab bei Gott unter strengster Aufmerksamkeit befindet“, fügte er hinzu. Nachdem nicht allzu viel Zeit vergangen war, schnitt man den Griff der Kelle zur Hälfte ab, obwohl Vater Nektarij niemandem über diesen Vorfall erzählt hatte.
Mit seiner Mutter hatte Nikolai die wärmste und herzlichste Beziehung. Ihre Gebete, aber auch die strenge Erziehung bewahrte ihn vor vielem Unglück und manchen Ärgernissen. Der Jüngling war sanftmütig, ruhig, gottesfürchtig, klug und wissbegierig, aber wegen seiner Armut kam es ihm nicht zu, in der städtischen, sondern in der Dorfgemeindeschule zu lernen. Dort hat er sich das Lesen, Schreiben, sowie das Rechnen angeeignet und das Gesetz Gottes aufmerksam studiert.
Als Nikolai sein 11. Lebensjahr erreichte, sah sich seine Mutter gezwungen, ihn zur Arbeit in den Laden des reichen Kaufmanns Chamow zu schicken. Bald darauf verschied sie. Im Hause des Kaufmanns lebte Nikolai neun Jahre. In der arbeitsfreien Zeit las er geistliche Literatur und besuchte die Kirche.
In seiner Jugend zeichnete ihn Sanftmütigkeit, Bescheidenheit und seelische Reinheit aus. Er war tüchtig und sich bis zum Verwaltergehilfen vor. Gott neigte ihm die Herzen der Menschen zu. Güte, wissbegieriger Verstand, Schüchternheit, Aufrichtigkeit – dies sind die Eigenschaften, mit denen er sich unter den anderen im Laden des Kaufmanns Chamow hervorhob.
Als er 20 Jahre alt wurde, kam es dem Ladenleiter in den Sinn, Nikolai mit seiner Tochter zu vermählen. Das Fräulein war sehr nett und gefiel Nikolai.
Zu der Zeit lebte die fast 100-jährige Schima Monialin Feoktista in Jelez, die geistliche Tochter des Hierarchen Tichon von Sadonsk[5]. Bei den Einwohnern herrschte eine fromme Sitte, sich in allen wichtigen Angelegenheiten mit ihr zu beraten. Folglich schickte der Hausherr Nikolai zu ihr, damit er den Segen für seine Ehe erhielt. Bei der Ankunft sagte ihm die Schima Monialin[6]: „Jüngling, geh in die Optina zum Vater Ilarion[7]. Er wird dir sagen, was zu tun ist“. Sie bekreuzigte ihn und gab ihm Tee für den Weg mit. Der Hausherr hatte keine Einwände, Nikolai gehen zu lassen. Nikolai legte das Evangelium, die Ikone des Hierarchen Nikolai, Tee sowie Brot mit Salz in seine Tasche und machte sich mit Gottes Segen auf den Weg.
[1]Jelez - russ. Елец; ist eine Stadt in der russischen Oblast Lipezk. Sie ist 350 km südöstlich von Moskau entfernt.
[2]Gottseliger Sergij von Radonesch – *1319-†1392; ist einer der größten Heiliges des Russischen Landes und Gründer des Dreifaltigkeitsklosters in Sergijew Possad. Gedenktage: 5./18. Jul. und 25. Sep./8. Okt.
[4] Erleuchter Nikolaus von Myra – *III. Jhr.-†IV. Jhr.; gilt als Himmelspatron Russland, und ist einer der meistverehrten Heiligen des Landes. Gedenktage: 9./22. Mai, 6./19. Dez.
[5] Erleuchter Tichon von Sadonsk *1724-†1783; war Bischof von Woronesch. Gedenktage: 19. Jul./1. Aug. und 13. Aug./26. Aug.