100-jähriges Jubiläum der Kirche des Hl. Nikolaus in Stuttgart
100-jähriges Jubiläum der Kirche des Hl. Nikolaus in Stuttgart
Am 19. Dezember 1995, dem Tag des Heilgen Nikolaus, des Beschützers der Russisch-Orthodoxen Kirche in Stuttgart, waren 100 Jahre seit dem Tag der Weihe dieser Kirche vergangen. Die Errichtung der Kirche begann im Mai 1895 auf Initiative der Großherzogin Vera Konstantinovna, die durch ihre Heirat mit dem Württembergischen Herzog Eugen die traditionelle Verbindung des russischen Zarenhauses mit der württembergischen Königsfamilie festigte. Durch persönliche Vermittlung von Herzogin Vera spendete der russische Zar Alexander III. große Summen zugunsten des Kirchenbaus. Die Architekten Eisenlohr und Waigle vollendeten den Bau der Kirche in der Seidenstraße im typisch russischen Stil in kürzester Zeit. Die Großherzogin Vera war stets bei der Sonntagsliturgie und bei den großen Festen in der Kirche des Heiligen Nikolaus anwesend.
Die früher in Stuttgart bestehenden russisch-orthodoxen Kirchen, die von den württembergischen Königinnen Katherina Pavlovna und Olga Nikolaevna gebaut wurden, waren Hofkapellen; nach dem Tod der Königin Katherina wurde die Grabkapelle der königlichen Familie, in der orthodoxe Gottesdienste zelebriert wurden, auf dem Rotenberg in der Nähe von Stuttgart errichtet.
Die Kirche des Heiligen Nikolaus war von Anfang an ein spirituelles und kulturelles Zentrum, welches Russen und Deutsche, die im württembergischen Lande wohnten, verband. Die Kirche wurde durch ihren 16 Sänger umfassenden Chor berühmt. Die Innenausstattung der Kirche bestand aus Sakralgegenständen der Hofkapelle der Königin Olga, die dorthin gebracht worden waren; in dem unteren Stockwerk war eine reiche Kirchenbibliothek untergebracht.
Die erste russische Emigration von 1917-1924 förderte das geistliche Leben der Orthodoxen Kirche und füllte den Bestand ihrer Gemeinde auf. Nach dem zweiten Weltkrieg, sowie in den letzten Jahren, wuchs die Zahl der Gemeindeglieder, unter denen sich auch viele junge Leute befinden, beträchtlich an.
Während der Kriegsjahre 1943-44 war Stuttgart Opfer schwerer Luftangriffe und wurde über die Hälfte zerstört. Auch unsere Kirche wurde bombardiert und durch Feuer geschädigt. 1948-50 begannen die Restaurierungsarbeiten an der Kirche mit Mitteln, die vom Staat und anderen kirchlichen Stellen des Landes Württemberg zur Verfügung gestellt wurden, sowie aus Spendengeldern der Gemeinde. Die Ikonostasis wurde in den 70-er Jahren von dem russischen Ikonenmaler N. Schelechow gemalt, später wurden der Altarraum und die Wände der Kirche mit Fresken geschmückt.
Lange Zeit wurde die ganze Arbeit, welche die innere Ordnung der Kirche betraf, von der Kirchenältesten Tamara Ivanovna Eberhardt, die auch bei den Gottesdiensten in der Kirche mithalf, geleistet.
In unseren Tagen belebte und vertiefte sich dank der unermüdlichen Tätigkeit und Mühe der Priester Vater Ilja und Vater Johannes das geistliche Leben der Kirche und ihrer Gemeinde; es wurde ein Gemeinderat und eine Schwesternschaft sowie ein Chor geschaffen, es wird systematische Arbeit mit den Kindern der Gemeinde geleistet und Gespräche über religiöse Themen werden veranstaltet. Beide Priester stehen der Gemeinde sehr nahe und sind bei den Gläubigen, die stets Anteilnahme und geistige Unterstützung in ihren Lebensproblemen bei ihnen finden, sehr beliebt.
Die Vorbereitungen zum 100-jährigen Jubiläum der Kirche nahm Vater Johannes auf sich, wobei er gewaltige Organisationsarbeit leistete. Es gelang ihm, zur Teilnahme Öffentliche Stellen der Stadt zu gewinnen (darunter die Baden-Württembergische Landesbank (LGK), die einst auf Initiative der württembergischen Königin Katherina gegründet wurde), sowie eine ganze Reihe von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: den Ministerpräsidenten Dr. E. Teufel, den Bürgermeister von Stuttgart M. Rommel, sowie die königliche Familie des württembergischen Herzogs Karl, welche, wie bereits in Vergangenheit diese Maßnahme mit großer Anteilnahme unterstützte. In Stuttgart wurde ein Vortragszyklus über historische und kulturelle Themen, sowie Konzerte, eine Ausstellung von Bildern russischer Künstler, Mitglieder unserer Gemeinde, veranstaltet.
Die gesammelten Geldmittel werden zur Restaurierung unserer Kirche verwendet. Aktiv nahmen an der Vorbereitung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten die Schwesternschaft der Gemeinde mit Nina Herman an der Spitze, die Kirchenälteste Ludmilla Hort, Tamara Ivanovna Eberhardt, sowie der von Gennadij N. Charitonow geleitete Chor teil; die Organisierung der Bilderausstellung übernahm Svetlana Hasdan; ebenso engagierten sich viele andere Gemeindemitgleider und leisteten ihren Beitrag.
Am 18. Dezember kam Vladyka Mark zu dem Kirchenjubiläum nach Stuttgart und zelebrierte die Vigil, wobei ihm der Vorsteher der Kirche, Vater Ilja Limberger und Priester Johannes Kassberger, sowie Protodiakon Georg Kobro beistanden. Zusammen mit dem Gemeindechor sang der Moskauer Chor des Hl. Daniel. Am Jubiläumstag, dem 19. Dezember, zelebrierte Erzbischof Mark mit demselbem Klerus unter großem Zustrom von Gläubigen die Göttliche Liturgie und danach einen Dankgottesdienst in der Kathedrale des Hl. Nikolaus von Myra in Lykien.
Bei der Kranzniederlegung an den Gräbern der Königin Olga und der Großherzogin Vera, die sich in dem alten Schloß von Stuttgart befinden, waren ihre königlichen Hoheiten, Herzog Friedrich und Herzogin Maria von Württemberg, zugegen.
Bei dem Festmahl, das von der Schwesternschaft der Gemeinde organisiert wurde, unterhielt sich Vladyka Mark mit den Gemeindegliedern.
Bei dem Dankgottesdienst und dem darauffolgenden Festempfang waren ihre königlichen Hoheiten, Herzog Karl und Herzog Friedrich und Herzogin Maria von Württemberg, Staatssekretär Dr. Lorenz Mens, Bürgermeister Prof. Bruckmann, die Konsuln der USA und Spaniens, sowie viele Vertreter des öffentlichen Lebens, wissenschaftlicher und kultureller Institutionen der Stadt Stuttgart zugegen. Bei seiner Ansprache wies Herzog Karl auf die traditionellen Bande zwischen dem Land Württemberg und Rußland hin.
Die Festlichkeiten endeten mit einem großen Konzert in der Markuskirche, wobei die Sänger Tatjana Lenhardt, Alexander Efanov und Alexander Judenkov, das Bamberg-Klaviertrio, das russische Chorensemble “Lik” und die russischen Chöre “Sirin” und “Hl. Daniel” auftraten.
An dem Konzert nahmen auch die Professorin vom Stuttgarter Konservatorium Uta Kuter, der Geiger Evgenij Schuk und andere teil.
Ich möchte mit den Worten von Vater Ilja Limberger schließen, daß “unsere Kirche unser gemeinsames Haus” ist. “Wir danken Gott, daß Er unseren Vorfahren die Kraft und Vernunft gab, dieses Gotteshaus, das uns heute zur Freude und zum Trost gereicht, zu errichten und zu erhalten. Wollen auch wir uns bemühen, unsere Kirche für unsere Kinder und Enkel zu bewahren”.
Dr. Natalij Ghena