Kirchen unserer Diözese München: Kathedralkirche des Hl. Nikolaus*
6. Die “Notkirche” in der Denningerstr. 5
Dem Wunsch nach einer ständigen Kirche mit eigenem Priester kam die Gemeinde schließlich im Jahre 1941 näher, als sie in München-Bogenhausen eine Barackenkirche von der evangelischen Kirche mieten konnte. Hier befand sich fast ein Jahrzehnt lang die Gemeindekirche. Da die Gemeinde durch den Zustrom von Flüchtlingen in den folgenden Jahren auf etwa 1200 Mitglieder anwuchs, benutzte sie zusätzlich in den Jahren 1943 bis 1946 noch die griechische Salvator-Kirche und seit 1946 einen Raum in der Salvator-Schule zusätzlich als Kirche. In der Salvator-Schule befindet sich heute noch die russische Kirche.
Die “Hauptkirche” blieb aber bis 1949 die Barackenkirche in der Denningerstraße, die Kirche in der Salvatorschule war bis 1949 offiziell nur eine “Filialkirche”, da die Barackenkirche in Bogenhausen für die vielen Gläubigen nicht genügend Platz bot. Die Gläubigen der beiden Kirchen gehörten zu einer Gemeinde. Zur Unterscheidung wurde auch häufig von der “Stadtgemeinde” gesprochen, wenn man an die Kirche in der Salvatorschule dachte.
Auf der Suche nach einem geeigneten Raum, wandte sich die Gemeinde im März 1941 an den evangelischen Pastor Bauer in München-Bogenhausen, die bisher ihre Gottesdienste in der Baracke in der Denninger Str. 8 gefeiert hatte. Nachdem sie ihre neue Kirche in der Lamontstraße beziehen konnte, stand die Notkirche leer. Pfarrer Bauer erklärte sich sofort bereit, die Barackenkirche der russischen Gemeinde kostenlos zu überlassen.
Nach dieser Zusage wurde im April 1941 eine Gemeindesitzung einberufen, auf der ein neuer Gemeinderat gewählt wurde. Dieser wandte sich in einem Schreiben an die Berliner Diözesanverwaltung mit der Bitte um Entsendung eines ständigen Priesters nach München.
Im Vertrag zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde der Dreieinigkeitskirche und der Russischen Orthodoxen Kirchengemeinde des Hl. Nikolaus wurde u.a. ausgeführt, daß die “Notkirche der Russischgriechisch orthodoxen Gemeinde zur Abhaltung ihrer Gottesdienste überlassen wird und ...die Gemeinde das Recht erhält, ...den Raum für ihre gottesdienstlichen Zwecke herzurichten.”
Aus einer Inventarliste der Kirche vom Jahre 1942 geht hervor, daß außer der erwähnten Ikonostase noch 30 Ikonen die Kirche schmückten. Außerdem gab es mehrere Kerzenleuchter, liturgische Gefäße und Bücher und “sehr reichhaltiges liturgisches Gewand”. Außerdem werden aufgeführt “Gemeindebücher” (metriçeskie knigi), beginnend mit dem Jahr 1924 bis zum Jahr 1942.
Am 12. Juli 1941 zelebrierte Vater Alexander die erste göttliche Liturgie in der neuen Kirche. Seitdem fanden Gottesdienste regelmäßig statt.
Die Kosten für den Priester wurden durch einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 50 Pfg. pro Gemeindemitglied aufgebracht. Kosten entstanden durch die Anreisen von Vater Alexander, der zunächst noch Geistlicher in Tegel blieb.
Der Wunsch nach einem eigenen Priester wurde im August 1942 endgültig erfüllt. Metropolit Serafim ernannte Priestermönch Alexander zum ständigen Geistlichen in München. Seit 29.August 1942 fanden nun an jedem Wochenende Gottesdienste in München statt. Durch den Zustrom der Ostarbeiter schlossen sich neue Mitglieder der Gemeinde an: Im Gemeindeverzeichnis vom Jahre 1942 waren 636 Personen registriert.
Seit November 1942 gab es eine Gemeindeschule mit Unterricht an zwei Wochentagen. Es wurden Katechismus, russische und kirchenslawische Sprache, russische Geschichte und Kirchengeschichte unterrichtet. Kinder aus der Gemeindeschule halfen auch als Altardiener in der Kirche und als Lektoren. Die Schule wurde von Kindern bis zum Alter von 12 Jahren besucht. 1943 wurde für die Kinder der Gemeinde das Weihnachtsfest (e1ka) gefeiert.
Für Erwachsene wurde ein religiös-katechetischer Arbeitskreis gegründet. Seit Herbst 1941 gab Vater Alexander jeden Sonntag ein kleines Gemeindeblatt heraus, der “Voskresnyj listok” (Sonntagsblatt). Sie erschienen bis zum Jahre 1962 regelmäßig und hatte in den letzten Jahren noch eine Auflage von 500 Exemplaren. Das Gemeindeblatt umfaßte in der Regel zwei Seiten mit einem Abdruck der Sonntagspredigt von Vater Alexander und Ankündigungen für die Gemeinde.
Die nächste Gemeindeversammlung trat im Mai 1943 zusammen. Zum Kirchenältesten wurde G.I. Çerpickij gewählt. Auf der Versammlung wurde ferner beschlossen, eine Schwesternschaft bei der Gemeinde zu gründen. Im Protokoll der Gemeindeversammlung von 1943 wurde festgehalten, daß das Leben der Gemeinde “verhältnismäßig normal verlaufen” sei, wobei das Wort “verhältnismäßig” handschriftlich und nachträglich in das Protokoll eingefügt worden war.
Doch der Krieg und seine Folgen wurden überall spürbar. Die Kirche konnte nur selten geheizt werden. Die Rationierung von Papier machte den Mangel an geistlichem Schrifttum spürbar. Es fehlte an Ikonen und Kreuzen. Allmählich wurden auch Kerzen knapp, dann wurden auch diese rationiert. Selbst das Mehl für die Prosphoren und den Kommunionswein gab es nur noch auf Zuteilung. Im Dezember 1942 teilte Metropolit Serafim der Gemeinde mit, daß er künftig keinen Wein und kein Mehl mehr schicken könne, da er vom Getreidewirtschaftsamt keine Zuteilungen bekomme. Die “bisherigen Zusendungen seien alle illegal gewesen”. Serafim schlug dem Gemeinderat vor, daß die Gemeindemitglieder von ihren Lebensmittelkarten für Brot und Mehl Abschnitte bereit stellen sollten, um das benötigte Mehl zu bekommen.
In diesen schwierigen Jahren gehörte auch Alexander Schmorell zur Münchner Gemeinde. Er war Mitglied der “Weißen Rose” und wurde wegen seines Widerstands gegen das Nazi-Regime am 13. Juli 1943 hingerichtet. Am Tag vor seiner Hinrichtung wurde sein langjähriger Beichtvater, Archimandrit Alexander (Lovçij), zu Schmorell geschickt, um ihn zu bewegen, um Gnade zu bitten. Dies lehnte Schmorell, dessen christliche Motivation zum Widerstand geführt hatte, ab. In seinem Abschiedsbrief machte Schmorell deutlich, daß er aus seinem Glauben Kraft für seinen Weg gefunden hat: ‘Der Tod ist kein Ende, sondern der Übergang zu einem neuen, weit herrlicheren Leben als das irdische, in dem es Trennung und Ende nicht mehr gibt.
7. Wachsende Aufgaben:
Ostarbeiter und Kriegsgefangene
In einem Schreiben vom Dezember 1942 bat Vater Alexander bei der Berliner Diözesanverwaltung um Unterstützung bei der Betreuung der in Bayern befindlichen sowjetischen Kriegsgefangenen. Diese hätte sich “massenweise” in Schreiben an ihn und seine Gemeinden gewandt und um Zusendung von Kreuzen und Ikonen gebeten. Da er nicht allen Wünschen nachkommen könne, bitte er zunächst um Zusendung von je 300 Kreuzen und Ikonen. Im Dezember erfolgte die erste Sendung mit Ikonen und Kreuzen.
Im gleichen Monat wurde bei der Münchner Gemeinde ein eigenes Missionskomitee gegründet. Außerdem gab es einen religiös-katechetischen Arbeitskreis zur Betreuung der Ostarbeiter, um diese mit dem kirchlichen Leben und Brauchtum vertraut zu machen. Der Münchner Arbeitskreis arbeitete eng mit dem Berliner Komitee zusammen. Beide bemühten sich um die Beschaffung von religiösem Schrifttum. Besonderer Bedarf bestand für Evangelien und Gebetbücher. Es wurde um die Zusendung von 600 Evangelien und von 250 Gebetbüchern nachgesucht.
Bei der Kunstanstalt May in Dresden wurden 1943 /1944 jeweils 2000-3000 Papierikonen bestellt. Diese Auflage war als Folge der Papierknappheit limitiert worden. Da aber alle 3 Monate ein neuer Auftrag erteilt werden durfte, machte die Gemeinde von dieser Möglichkeit Gebrauch und bestellte jeweils das Höchstkontingent.
Nach der Besetzung Griechenlands wurde die griechische Salvatorkirche geschlossen. Es scheint aber, daß das Bayerische Ministerium für Kultus hiermit nicht einverstanden war. Im Frühjahr 1943 erhielt Archimandrit Alexander einen Brief vom Kultusministerium mit dem Vorschlag, daß der “russische Klerus’l in München die Betreuung der griechischen Kirche am Salvatorplatz übernehmen solle.
Im russischen Gemeinderat wurde der Vorschlag des Kultusministeriums diskutiert und akzeptiert. Der erste russische Gottesdienst in der griechischen Kirche fand am 22./23. Mai 1943 unter Teilnahme einer großen Zahl von Gläubigen statt. Bis Februar 1946 wurde die griechische Kirche von der russischen Gemeinde benutzt, dann wurden die Schlüssel der Kirche dem griechischen Archimandriten Meletios Galanapoulos übergeben.