Optina Der große Starez Amvrosij (Grenkov) (1812-1891)
Bote 1991-4
Der erste und hervorragendste unter den Schülern von Hieroschimonachos Makarij war der Hieroschemamönch Amvrosij (Grenkov). Unter der erfahrenen Leitung des großen Starez bildeten sich bei Vater Amvrosij unmerklich jene Erhabenheit des Geistes und jene Kraft der Liebe, deren er bedurfte, als er beim Tod von Hieroschimonachos Makarij das hohe und mühevolle Amt der Starezschaft auf sich nahm.
Am 23. November 1812 wurde im Dorf Bol‚aja Lipoviza des Gouvernements von Tambov und des gleichnamigen Kreises in der Familie des Küsters Michail Fedoroviç und seiner Frau Marfa Nikolaevna Grenkov ein Sohn geboren. Der Neugeborene wurde in der heiligen Taufe Alexander genannt zu Ehren des rechtgläubigen Großfürsten Alexander Nevskij, dessen Gedächtnis am Tag der Geburt des Kindes gefeiert wurde.
In seiner Kindheit war Alexander ein äußerst lebhafter, fröhlicher und aufgeweckter Knabe. Nach dem Gebrauch jener Zeit lernte er anhand der kirchenslawischen Fibel, des Horologions und des Psalters lesen. An allen kirchlichen Feiertagen sang und las er zusammen mit seinem Vater im Chor. Niemals sah oder hörte er irgend etwas Schlechtes, da er in einem streng kirchlichen und religiösen Milieu erzogen wurde.
Als der Knabe 12 Jahre alt war, brachten ihn die Eltern in die erste Klasse der Tambover Geistlichen Lehranstalt. Nach Beendigung dieser Schule trat er 1830 in das Tambover Geistliche Seminar ein. Wie in der Lehranstalt so war Alexander Grenkov auch im Seminar dank seiner reichen Begabung ein sehr guter Schüler. “Grenkov büffelt nicht viel, - so bezeugte einer seiner Kameraden vom Seminar - er kommt einfach in die Klasse und gibt Antworten wie sie im Buch stehen - besser als alle anderen”. Da er von Natur aus einen fröhlichen und lebhaften Charakter besaß, war er immer die Seele der Schar junger Leute um ihn. Die Lieblingsfächer Alexanders im Seminar waren das Studium der heiligen Schriften, Theologie, Geschichte und Literatur. Daher kam ihm der Gedanke ans Kloster überhaupt nicht in den Sinn, obwohl ihm manche Leute dieses vorausgesagt hatten. Ein Jahr vor dem Abschluß des Seminars erkrankte er schwer. Eine Hoffnung auf Wiederherstellung der Gesundheit gab es fast nicht, und er gelobte, daß er im Falle der Genesung ins Kloster gehen würde.
Ein ganzes Jahr Seminarleben, das er im Kreis der fröhlichen Gesellschaft junger Studienkameraden verbrachte, konnte seinen Eifer für das Kloster nicht ungeschwächt lassen, so daß er sich nach dem Abschluß des Seminarkurses nicht sofort entschließen konnte, ins Kloster einzutreten. Eineinhalb Jahre gab Alexander Privatstunden in einem gutsherrlichen Haus. Im Jahre 1838 wurde eine Lehrerstelle an der Geistlichen Lehranstalt der Stadt Lipezk frei, die er annahm.
Aber jedesmal, wenn er an sein Gelöbnis, ins Kloster zu gehen, dachte, empfand er Gewissensbisse. Der Starez selber sagte über diese Periode seines Lebens: “Nach meiner Genesung druckste ich ganze vier Jahre lang herum, ich konnte mich nicht entschließen, so plötzlich mit der Welt abzubrechen und besuchte weiterhin meine Bekannten und wollte auch meine Redseligkeit nicht aufgeben... Da kommst du nach Hause - aber innerlich bist du unruhig, und du denkst: nun habe ich für immer Schluß gemacht, ich werde nicht mehr plaudern. Und siehe da, wieder wirst du eingeladen und wieder fängst du an zu schwatzen. Und so quälte ich mich ganze 4 Jahre lang.” Zur seelischen Erleichterung begab er sich nachts in die Einsamkeit, um zu beten, aber das rief nur den Spott der Kameraden hervor. Damals ging er zum Beten auf den Dachboden und dann in den Wald außerhalb der Stadt. So näherte sich seine Lösung von der Welt.
Im Sommer 1839 fuhr Alexander Michailoviç zusammen mit seinem Freund P.C. Pokrovskij anläßlich einer Pilgerfahrt in die Troize-Sergievaja-Lavra (Dreifaltigkeitskloster des Hl. Sergius) auch nach Trojerukovo zu dem berühmten Klausner Vater Ilarion. Der heilige Gottesstreiter empfing die jungen Männer mit väterlicher Zuneigung, aber Alexander Michailoviç gab er den ganz klaren Befehl: “Geh nach Optina, dort wirst du gebraucht”. Am Grab des ehrwürdigen Sergij, an dem er glühend um den Segen des Heiligen für sein neues Leben flehte, empfand er bei seinem Entschluß, der Welt zu entsagen, den Vorgeschmack irgendeines ungeheuren, alles ergreifenden Glückes. Aber nach seiner Rückkehr nach Lipezk war Alexander Michailoviç nach seinen eigenen Worten, weiterhin unschlüssig. Es geschah jedoch, daß nach einer Einladung, bei der er wieder einmal die Gäste zum Lachen gebracht hatte, das Gott gegebene Gelübde lebhaft vor sein inneres Auge trat, ihm das Glühen des Geistes, das er in der Troizkaja Lavra empfunden hatte, wieder in den Sinn kam, sowie seine früheren langen Gebete, Seufzer und Tränen und der ihm durch Vater Ilarion übermittelte Göttliche Auftrag; gleichzeitig damit empfand er tief die Unbeständigkeit und Wankelmütigkeit seiner Absichten. Am nächsten Morgen war der Entschluß diesmal fest gereift. Da er jedoch fürchtete, daß die Überredungskünste der Verwandten und Bekannten ihn ins Wanken bringen könnten, beschloß er ohne Wissen von irgend jemand nach Optina zu fliehen und nicht einmal die ekklesiastische Obrigkeit der Eparchie davon in Kenntnis zu setzen. Erst als er bereits in Optina war, informierte er den Erzbischof von Tambov über seine Absicht.
Als Alexander Michailoviç am 8. Oktober 1839 nach Optina kam, war noch die eigentliche “Blüte” des Mönchstums am Leben: solche geistige Größen wie Igumen Moisej und die Starzen Ljev (Leonid) und Makarij. Vorsteher des Skits war der ihnen an geistiger Höhe gleichkommende Hieroschimamonachos Antonij, ein Bruder von Vater Moisej, ein großer Asket und Seher. Im allgemeinen war das ganze Mönchstum unter der Führung der Starzen von geistigen Tugenden geprägt: Einfalt (Arglosigkeit), Sanftmut und Demut waren die hervorragenden Züge des Mönchstums von Optina. Die jüngeren Brüder bemühten sich auf jede Weise, demütig zu sein, nicht nur den Älteren, sondern auch ihresgleichen gegenüber; sie fürchteten sogar, irgend jemand durch einen Blick zu kränken und beim geringsten Anlaß baten sie sich sofort gegenseitig um Verzeihen. In ein monastisches Milieu von solch erhabenem geistigen Standard gelangte der neu angekommene junge Grenkov.
Alexander Michailoviç besaß sehr gute Charakterzüge wie z.B. außerordentliche Lebhaftigkeit, gute Auffassungsgabe, Scharfsinnigkeit, Gemeinschaftlichkeit und er hatte die Fähigkeit, alles im Flug aufzunehmen. Er besaß eine starke, schöpferische und reiche Natur. All diese Eigenschaften, die sein Wesen ausmachten, verschwanden in der Folge nicht etwa, sondern im Maße seines spirituellen Wachstums verklärten und vergeistigten sie sich und wurden von Göttlicher Gnade durchdrungen, was ihm die Fähigkeit gab, gleich dem Apostel “allen alles” zu sein, um viele zu retten.
Der geistliche Führer der Optina Bruderschaft, Starez Ljev, nahm Alexander Michailoviç mit Liebe auf und erlaubte ihm, sich vorläufig im Gästegebäude des Klosters niederzulassen. Im Gästehaus wohnend suchte er täglich den Starez auf, hörte seinen Unterweisungen zu und in seiner freien Zeit übersetzte er nach Weisung des Starez das Manuskript “Errettung der Sünder” aus dem Neugriechischen.
Ein halbes Jahr ging der Briefwechsel mit der Eparchie-Behörde wegen seines Verschwindens. Erst am 2. April 1840 erfolge der Erlaß des geistlichen Konsistoriums von Kaluga über die Einreihung Alexander Michailoviç Grenkovs in die Bruderschaft, worauf er bald in das Mönchshabit eingekleidet wurde.
Im Kloster war er einige Zeit Zellendiener von Starez Ljev und sein Vorleser (d.h. er las zur festgesetzten Zeit die Gebetsregel für den Starez, da dieser sich aus körperlicher Schwäche nicht in die Kirche begeben konnte). Seine Beziehung zum Starez war die alleraufrichtigste. Daher behandelte auch der Starez seinerseits den Novizen Alexander mit besonders zärtlicher, väterlicher Liebe und nannte ihn Sascha.
Im November 1840 siedelte Alexander Grenkov vom Kloster ins Skit über, wo er nun unter der direkten Führung von Starez Makarij stand. Aber auch von dort aus ging der neu eingeführte Novize weiterhin um der geistigen Unterweisung willenzu Starez Ljev ins Kloster.
Im Skit war er ein ganzes Jahr lang Küchengehilfe. Sein Dienst erforderte, daß er oft zu Starez Makarij ging, sei es nun um den Segen fürs Essen einzuholen, sei es um zum “Trapeza” (Refektorium) zu läuten oder sei es aus anderen Gründen. Dabei hatte er die Möglichkeit, dem Starez von seinem seelischen Zustand zu berichten und von ihm weise Ratschläge zu empfangen, wie man sich im Fall von Versuchungen verhalten soll. Es ging darum, daß nicht die Versuchung den Menschen besiege, sondern daß der Mensch die Versuchung besiege.
Am Ende seines mühereichen und gottgefälligen Lebens übergab Starez Ljev seinen geliebten jungen Novizen Alexander, in dem er den zukünftigen Nachfolger für die Starezschaft sah, der besonderen Fürsorge seines Mitarbeiters Starez Vater Makarijs und sagte: “Dieser Mensch hängt sich sehr an uns Starzen. Ich bin jetzt schon recht schwach geworden. So übergebe ich ihn dir von einem Schoß zum anderen - handhabe ihn, so wie du meinst”. Es scheint, daß diese Rockschöße der großen Starzen für den ihnen nahestehenden Schüler ein Abbild des von Elias über Elisej ausgebreiteten Schutzmantels waren.
Nach dem Tode von Starez Ljev wurde Bruder Alexander Zellendiener von Starez Makarij. Diesen Gehorsamsdienst führte er vier Jahre lang aus, vom Herbst 1841 bis zum 2. Januar 1846.
Am 29. November des Jahres 1842 wurde er in die Mantia eingekleidet (er erhielt die Mönchsweihe) mit dem Namen Amvrosij, nach dem hl. Ambrosius, dem Bischof von Mailand, dessen Gedächtnis am 7. Dezember begangen wird. Dann folgte die Weihe zum Hierodiakonos, in welcher Würde Amvrosij stets mit großer Ehrfurcht zelebrierte. Nachdem er fast drei Jahre lang Hierodiakon gewesen war, wurde Vater Amvrosij Ende 1845 zur Weihe als Hieromonachos vorgeschlagen. Zu diesem Zweck mußte Vater Amvrosij nach Kaluga fahren. Es herrschte klirrende Kälte und der vom Fasten ausgemergelte Vater Amvrosij zog sich eine starke Erkältung zu, die sogar die inneren Organe ergriff. Seit dieser Zeit wurde er nie mehr richtig gesund.
Am Anfang, als Vater Amvrosij sich noch einigermaßen aufrecht erhielt, kam einmal der hochgeweihte Nikolaj von Kaluga nach Optina. Er sagte zu ihm: “Du sollst Vater Makarij bei der geistlichen Führung helfen, denn er ist nun schon alt geworden. Das ist ja auch eine Wissenschaft, nur keine Seminarweisheit, sondern eine monastische.” Vater Amvrosij war damals erst 34 Jahre alt. Er hatte viel mit den Besuchern zu tun, deren Fragen er dem Starez übergeben mußte sowie die Antworten des Starez an die Besucher. So ging es bis zum Jahre 1846 weiter, als Vater Amvrosij nach einem erneuten Ausbruch seiner Krankheit genötigt war, aus Gesundheitsgründen in den Ruhestand zu treten, da er als unfähig für den Klosterdienst erklärt wurde und fortan vom Kloster unterhalten wurde. Von jener Zeit an konnte er die Liturgie nicht mehr zelebrieren; er konnte sich kaum bewegen und litt an so schlimmen Schweißausbrüchen, daß er sich mehrere Male im Verlauf von 24 Stunden umziehen mußte. Er konnte überhaupt keine Kälte und Zugluft ertragen und nahm nur flüssige Nahrung, die mit dem Reibeisen klein gerieben war, zu sich. Er aß nur sehr wenig.
Ungeachtet dessen klagte er nicht über seine Leiden, sondern betrachtete sie sogar als unerläßlich für seinen geistigen Fortschritt. Voll davon überzeugt und auch aus eigener Erfahrung wissend, daß “wenn auch unserer äußerer Mensch zerstört wird, so wird doch unser innerer von Tag zu Tag erneuert” (2.Kor.4,16), wünschte er sich niemals völlige Genesung. Den anderen pflegte er daher zu sagen: “Ein Mönch soll sich nicht ernsthaft behandeln lassen, sondern sich nur ein wenig kurieren”, um nicht im Bett liegen zu müssen und anderen nicht zur Last zu fallen. So kurierte er sich ständig selber. Da er aus der Lehre der asketischen Väter wußte, daß körperliche Krankheit mehr wert und wirkungsvoller als Fasten, Mühen und andere körperliche Anstrengungen ist, hatte er die Gewohnheit, sich selbst zur Erinnerung und seinen siechen Schülern zur Erbauung und Tröstung zu sagen: “Gott fordert von dem Kranken keine körperlichen Leistungen, sondern nur Ausharren in Geduld und Danksagung”.
Sein Gehorsam dem Starez, Batjuschka Makarij gegenüber war stets widerspruchslos und sogar in den kleinsten Dingen legte er Rechenschaft ab. Nun wurde ihm die Übersetzungsarbeit übertragen und die Druckvorbereitung der Werke der Heiligen Väter. Von ihm wurde die “Leiter” des hl. Johannes, des Abtes von Sinai, in ein leichtes, allgemein verständliches Kirchenslawisch übersetzt.
Diese Periode im Leben von Vater Amvrosij erwies sich als die günstigste für die Ausübung der “Kunst aller Künste”, nämlich des geistigen Gebetes. Einst fragte Starez Makarij seinen geliebten Schüler Vater Amvrosij: “Rate mal, wer sein Heil ohne Leid und Trübsal errang?” Starez Amvrosij selber schrieb diese Errettung seinem geistlichen Führer, Starez Makarij zu. Aber in der Lebensbeschreibung des letzteren heißt es, daß “die Ausübung des geistigen Gebetes, gemessen am Stand seines damaligen spirituellen Wachstums, vorzeitig war und ihm fast geschädigt hätte”. Die Hauptursache dafür war, daß Vater Makarij keinen ständigen Führer in diesem erhabenen geistlichen Tun um sich hatte. Vater Amvrosij besaß jedoch einen äußerst erfahrenen geistlichen Lehrer in der Person von Vater Makarij, der die Höhen des spirituellen Lebens bereits erklommen hatte. Daher konnte er das geistige Gebet tatsächlich “ohne Leid” erlernen, d.h. indem er die Fallstricke des Feindes umging, die den Betenden in Verblendung stürzen, und “ohne Trübsal”, die sich als Folge unserer falschen, aber scheinbar guten Wünsche einzustellen pflegt. Äußeres Leid, wie z.B. Krankheit, wird von den Geisteskämpfern für nützlich und dem Seelenheil zuträglich erachtet. So verlief das ganze monastische Leben Vater Amvrosijs von Anfang an unter der Betreuung weiser Starzen ebenmäßig und ohne besonderes Straucheln, mit der steten Ausrichtung auf immer größere geistige Vervollkommnung.
Und daß die Worte Vater Makarijs sich auf Vater Amvroisij bezogen, kann man auch noch daraus sehen, daß Vater Amvrosij in den letzten Lebensjahren seines Starez bereits eine hohe Vollkommenheit im geistigen Leben erlangt hatte. Denn so wie seinerzeit Starez Ljev Vater Makarij als heilig bezeichnet hatte, so war auch nun die Beziehung von Starez Makarij zu Vater Amvrosij. Das hinderte den Starez jedoch nicht daran, seinem Schüler aus Gründen der Eigenliebe Schläge zu versetzen, wodurch er ihn zu einem strengen Asketen der Armut, Demut, Geduld und anderer monastischer Qualitäten heranzog. Als einst jemand für Vater Amvrosij eintrat und sagte: “Batjuschka, er ist doch ein kranker Mann”, da antwortete der Starez: “Weißt du es denn etwa besser als ich - sind doch Tadel und Rüge für den Mönch Bürstchen, mit denen der Sündenstaub von seiner Seele abgerieben wird; ohne diese verrostet der Mönch.”
Noch zu Lebzeiten von Starez Makarij gingen einige der Brüder zur Enthüllung der Gedanken mit seinem Segen zu Vater Amvrosij. So zog sich Starez Makarij allmählich einen würdigen Nachfolger heran. Und wenn er dann im Vorbeigehen seinen ergebenen Schüler und geistlichen Sohn von einer Menschenmenge umgeben sah und hörte, wie er sich mit den Besuchern zu ihrem seelischen Wohl unterhielt, dann meinte er scherzhaft: “Schaut, schaut doch! Amvrosij nimmt mir ja das Brot weg!” Zuweilen sagte er auch im Gespräch mit Nahestehenden: “Vater Amvrosij wird euch nicht verlassen”.
Zu dieser Zeit waren der geistlichen Fürsorge Vater Amvrosijs bereits die Nonnen der Borisovska-Tichvin Pustyn’ des Gouvernements von Kursk, die sich um der geistlichen Führung willen an die Starzen von Optina wandten, anvertraut. Als sie dann in Optina ankamen, hielt er es für seine Pflicht, sie sofort im Gästehaus aufzusuchen. Mit dem Segen von Vater Makarij unterhielt er sich auch mit weltlichen Besuchern.
Nach dem Entschlafen von Starez Makarij am 7. September 1860 fügten sich die Umstände allmählich so, daß Vater Amvrosij dessen Platz einnahm, obwohl er nicht direkt dazu ernannt worden war. Denn in den zwölf Jahren seiner Starezschaft in Abhängigkeit von Starez Makarij war er schon so gut für diesen Dienst vorbereitet worden, daß er nun ganz und gar seinen Vorgänger ersetzen konnte.
Nach dem Tod von Archimandrit Moisej wurde als Abt Vater Isaak erwählt, der bis zu seinem Ende zu Vater Amvrosij in der Beziehung wie zu seinem eigenen Starez stand. Auf diese Weise gab es in der Optina Pustyn’ keinerlei Reibereien zwischen den führenden Personen.
Der Starez zog in ein anderes Gebäude um, das sich in der Nähe der Skitumzäunung, an der rechten Seite des Glockenturms befand. An der westlichen Seite dieses Hauses wurde ein Anbau, die sogenannte “Chibarka” (Hütte) für den Empfang der Frauen errichtet. Hier stand er ganze 30 Jahre lang auf dem Göttlichen Wachposten, wobei er sich sich dem Dienst am Nächsten hingab.
Der Starez war schon insgeheim ins Schema eingekleidet worden, wahrscheinlich damals, als infolge seiner schweren Erkrankung sein Leben in Gefahr schwebte. Zwei Zellendiener wohnten bei ihm, Vater Michail und Vater Iosif, der zukünftige Starez. Sein Hauptschriftführer war Vater Kliment (Söderholm), der zur Orthodoxie übergetretene Sohn eines protestantischen Pastors, ein gelehrter Mann und Magister der griechischen Literatur.
Das tägliche Leben Starez Amvrosijs begann mit der Zellengebetsregel. Zum Hören der morgendlichen Gebetsregel stand er anfangs um 4 Uhr auf; dann läutete er mit dem Glöckchen, worauf die Zellendiener bei ihm eintraten. Sie lasen die Morgengebete, 12 ausgewählte Psalmen und die erste Stunde. Danach verblieb er alleine im geistigen Gebet. Nach einer kurzen Pause wurden ihm dann die dritte und sechste Stunde sowie die Typica vorgelesen, und je nach dem Kalendertag ein Kanon mit Akathist an den Heiland oder die Gottesmutter, welche er im Stehen hörte.
Vater Amvrosij liebte nicht, wenn man ihm beim Beten zuschaute. Der die Regel vorlesende Zellendiener mußte im Nebenzimmer stehen. Als einmal der Bittkanon an die Gottesgebärerin gelesen wurde, beschloß einer der Hieromönche des Skits zu dieser Zeit zu Batjuschka zu gehen. Die Augen Vater Amvrosijs waren zum Himmel erhoben, sein Antlitz strahlte vor Freude und es wurde von einem derartigen Leuchten erhellt, daß der Priestermönch es nicht aushalten konnte.
Solche Fälle, wenn das von himmlischer Güte erfüllte Antlitz des Starez sich verklärte und von gnadenvollem Licht erleuchtet wurde, ereigneten sich fast immer während oder nach der morgendlichen Gebetsregel in den Morgenstunden.
Nach den Gebeten und dem Morgentee begann der Arbeitstag, nur mit einer kleinen Unterbrechung zur Mittagszeit. Während des Essens stellten die Zellendiener Fragen im Auftrag der Besucher. Manchmal befahl der Starez auch, um seinen benommenen Kopf etwas zu erleichtern, daß ihm ein oder zwei Fabeln von Kprylov vorgelesen werden. Nach einer kleinen Ruhepause begann wieder die anstrengende Arbeit - und so ging es fort bis zum späten Abend. Ungeachtet der äußersten Kraftlosigkeit und dem Krankheitszustand des Starez endete der Tag stets mit der Abendgebetsregel, die aus der kleinen Poveçerie, dem Kanon an den Schutzengel und den Abendgebeten bestand. Die Zellendiener, die den ganzen Tag über die Besucher beim Starez anmelden, hereinführen und wieder hinausbegleiten mußten, konnten sich nun kaum mehr auf den Beinen halten. Der Starez selber lag zuweilen bewußtlos da. Nach der Gebetsregel bat der Starez um Verzeihung für in Tat, Wort und Gedanken begangene Sünden. Die Zellendiener empfingen seinen Segen und gingen hinaus.
Nach zwei Jahren wurde der Starez von einer neuen Krankheit ereilt. Seine ohnehin schon schwache Gesundheit brach nun völlig zusammen. Von dieser Zeit an konnte er sich nicht mehr in die Kirche begeben und mußte in der Zelle kommunizieren. Und solche Verschlimmerungen gab es nicht nur einmal.
Man kann sich nur schwer vorstellen, wie er bei völliger Erschöpfung der Kräfte und an ein derartiges Leidenskreuz genagelt täglich die vielen Leute empfangen und auf die Dutzende von Briefen antworten konnte. Auf ihn trafen die Worte zu: “denn Meine Kraft erreicht ihre Vollendung in Schwachheit” (2. Kor. 12,9). Wäre er kein erwähltes Gefäß Gottes gewesen, durch das der Herr Selber redete und handelte, so wäre solch eine Opferleistung, solch eine gigantische Arbeit durch keinerlei menschliche Kräfte zu erbringen gewesen. Die lebenschaffende Göttliche Gnade war gegenwärtig und wirkte deutlich in ihm.
“Wer seine Gefühle vollkommen mit Gott vereinigt hat - so sagt Johannes Klimakos - lernt im Verborgenen von Ihm Seine Worte”. Diese lebendige Gemeinschaft mit Gott ist auch die prophetische Gabe und jene ungewöhnliche Hellsichtigkeit, über die Vater Amvrosij verfügte. Das bezeugten Tausende seiner geistlichen Kinder. Fortsetzung folgt
Bote 1991-5
Optina
Führen wir die Worte einer der geistlichen Töchter des Starez an: “Wie leicht ist einem zu Mute, wenn man in dieser engen und schwülen ‘Hütte’ sitzt und wie hell scheint einem alles in ihrem geheimnisvollen Halbdunkel. Wie viele Leute waren schon hier! Sie kamen hierher und vergossen Tränen des Kummers und sie gingen hinaus mit Tränen der Freude; die Verzweifelten gingen getröstet und aufgemuntert hinweg, die Ungläubigen und Zweifelnden als wahre Kinder der Kirche. Hier lebte Batjuschka - die Quelle so vieler Wohltaten und Tröstungen. Weder der Rang eines Menschen, noch sein Vermögen besaßen in seinen Augen irgendwelche Bedeutung. Ihm ging es nur um die menschliche Seele, die ihm so teuer war, daß er, indem er sich selbst vergaß, mit allen Kräften versuchte, sie zu erretten und sie auf den Pfad der Wahrheit zu bringen”.
Von morgens bis abends empfing der von Krankheit niedergedrückte Starez die Besucher. Sie kamen zu ihm mit den allerbrennendsten Fragen, die er sich selbst zu eigen machte und durch welche er in der Minute des Gespräches lebte. Er erfaßte immer sogleich das Wesen einer Sache, legte sie dann mit ungewöhnlicher Weisheit dar und gab darauf seine Antwort. Für ihn gab es keine Geheimnisse, er sah alles. Ein unbekannter Mensch konnte zu ihm kommen und schweigen, aber er kannte sein Leben, seine Umstände und wußte, warum er hierher gekommen war. Seine Worte wurden mit Vertrauen angenommen, weil sie Worte der Macht waren, die sich auf seine Nähe zu Gott gründete und die ihm Allweisheit verlieh. Um nur ein wenig die ungeheuere Leistung Vater Amvrosijs zu verstehen, muß man sich einmal vorstellen, wie mühevoll es ist, jeden Tag mehr als 12 Stunden zu reden.
Der Starez liebte es auch, mit weltlichen frommen Menschen, besonders mit gebildeten Leuten zu reden, von denen nicht wenige zu ihm kamen. Als Folge der allgemeinen Liebe und Hochachtung, die er genoß, kamen auch Katholiken und Personen anderer nicht-orthodoxer Bekenntnisse nach Optina, die mit seinem Segen ebendort zur Orthodoxie übertraten.
Aus Liebe zu Gott hatte Vater Amvrosij die Welt hinter sich gelassen und sich auf den Weg der sittlichen Vervollkommnung begeben. Aber da die Liebe zu Gott im Christentum untrennbar mit dem Opfer der Liebe zum Nächsten verbunden ist, war auch das Werk seiner Vervollkommnung und persönlichen Errettung niemals von dem Opferdienst an den Menschen abgesondert.
Die geistliche Armut oder die Demut bildete die Grundlage des gesamten asketischen Lebens von Starez Amvrosij. Die Demut veranlaßte den Starez, soweit wie möglich seine Mühen und Opfer vor den Neugierigen zu verbergen, entweder durch Selbstanklage, oder durch scherzhafte Aussprüche, oder zuweilen auch durch ein nicht ganz angemessenes Verhalten, oder einfach durch Schweigen und Zurückhaltung, so daß sogar die ihm am nächsten Stehenden ihn zweitweise für den gewöhnlichsten Menschen hielten. Ob es nun Tag oder Nacht war, die Zellendiener gingen nur zu ihm hinein, wenn er ihnen läutete, und nicht anders als mit einem Gebet; daher konnten sie niemals irgendwelche auffallende Besonderheiten bei ihm feststellen.
Selbst in Demut lebend, ohne welche die Errettung der Seele unmöglich ist, wünschte der Starez auch in denjenigen, die Rat bei ihm suchten, diese unerläßliche Tugend zu sehen; zu den Demütigen war er außerordentlich wohlwollend, wie er umgekehrt die Stolzen nicht ausstehen konnte.
Als man ihn fragte: “Darf man Vollkommenheit im geistigen Leben begehren?”, antwortete der Starez: “Man soll nicht nur wünschen, sondern man muß sogar danach streben, sich in der Demut zu vervollkommnen, d.h. darin, daß man sich innerlich für schlechter und niedriger als alle Menschen und alle Geschöpfe hält”. Sobald sich der Mensch gedemütigt hat - pflegte der Starez zu sagen - stellt ihn augenblicklich die Demut an die Schwelle des Himmelreiches, das nicht in Worten, sondern in der Kraft liegt: man soll weniger diskutieren, mehr schweigen, niemand verurteilen und allen Achtung schenken”. Wenn der Mensch sich zur Demut nötigt - so lehrte er einen Mönch - dann tröstet der Herr ihn innerlich, und eben das ist die Gnade, die Gott den Demütigen schenkt”.
“Habt Gottesfurcht, bewahrt eurer Gewissen in all euren Angelegenheiten und bei all euren Schritten und vor allem demütigt euch. Dann werdet ihr zweifellos das große Erbarmen Gottes erlangen”.
In seiner tiefen Demut vergoß Starez Amvrosij trotz seines fröhlichen Charakters und seiner Zurückhaltung nicht selten und gegen seinen Willen Tränen. Er weinte inmitten der Gebetsgottesdienste, die aus irgendeinem Anlaß in seiner Zelle abgehalten wurden, insbesondere, wenn auf Wunsch der Besucher in seiner Zelle ein Moleben mit Akathist vor der von ihm besonders verehrten Ikone “Würdig ist es” der Himmelskönigin zelebriert wurde. Während der Lesung des Akathists stand er neben der Tür, nicht weit von der heiligen Ikone entfernt und gerührt blickte er auf das gnadenvolle Antlitz der Allbesungenen Gottesmutter. Allen und jedem war sichtbar, wie die Tränen über seine ausgemergelten Wangen strömten. Er war stets bekümmert um einige seiner geistlichen Kinder, die an irgendwelchen seelischen Gebrechen litten, und manchmal bemitleidete er sie bis zum Tränenvergießen. Dann wieder weinte er über sich selber, über bestimmte Personen oder er trauerte und litt seelisch um sein ihm so teures Vaterland und um die gottesfürchtigen russischen Zaren. Zur rechten Zeit zeigten sich bei dem Starez auch Tränen spiritueller Freude, besonders wenn er dem harmonischen Notengesang gewisser kirchlicher Hymnen zuhörte.
Der Starez, der aus Erfahrung den Wert des Erbarmens und des Mitleids mit dem Nächsten kannte, ermunterte auch seine geistlichen Kinder zu dieser Tugend und versicherte ihnen, daß sie für das Erbarmen, das sie dem Nächsten erweisen auch von dem barmherzigen Gott Erbarmen erlangen würden...
Seine Ratschläge und Lehren, mit Hilfe derer er die vertrauensvoll zu ihm kommenden Seelen kurierte, gab er entweder privat im Einzelgespräch oder allgemein allen, die gerade bei ihm waren, und zwar in einer ganz einfachen, unzusammenhängenden und nicht selten auch spaßhaften Weise. Im übrigen kann man sagen, daß der scherzhafte Ton der erbaulichen Rede des Starez ein Zug seines Charakters war, was oft ein Lächeln auf den Lippen von oberflächlichen Zuhörern hervorrief. Aber wenn man ernsthafter in seine Lehren eindrang, dann sah man einen tiefen Sinn darin. “Wie soll man leben?” - erklang von allen Seiten eine allgemeine und äußerst wichtige Frage. Und seiner Gewohnheit gemäß antwortete der Starez: “Man muß ohne Heuchelei und beispielhaft leben; dann liegt unsere Sache richtig, sonst kommt sie falsch heraus”. Oder so: “Man kann auch in der Welt leben, nur nicht im Volksgewühl, sondern in der Stille”. Auch diese Aussprüche des Starez zielten auf den Erwerb der Demut ab.
Außer den mündlichen, von Starez Amvrosij persönlich erteilten Ratschlägen, gab er auch denjenigen, die keine Möglichkeit hatten, zu ihm zu kommen, viele Ratschläge schriftlich. Durch diese Belehrungen regte er den Willen des Menschen zum Guten an. “Mit Gewalt wird keiner zum Heil geführt... den Willen des Menschen nötigt nicht einmal der Herr, obwohl er ihn auf vielerlei Weise zur Einsicht zu bringen sucht”. “Das ganze Leben des Christen, und um so mehr das des Mönches, muß in Reue verbracht werden, denn wenn diese fehlt, dann versiegt auch das geistige Leben des Menschen. “Tut Buße” - das ist der Anfang und das Ende des Evangeliums. Die demütige Reue löscht alle Sünden aus und zieht das Erbarmen Gottes auf den reuigen Sünder herab.
Einen großen Raum nimmt in den Briefen des Starez die Erörterung über das Gebet ein. “Es gibt keinen größeren Trost für den Christen, als die Nähe des Himmlischen Vaters zu spüren und sich im Gebet mit ihm zu unterhalten. Das Gebet besitzt eine große Kraft: es flößt uns neues geistiges Leben ein, es tröstet uns im Kummer und ist unsere Stärke und Stütze in Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Gott hört jeden Seufzer unserer Seele. Er ist allmächtig und voller Liebe - welcher Friede und welche Stille ziehen dann in die Seele ein, und aus ihrer Tiefe möchte man sprechen: “Möge Dein Wille in allem geschehen, o Herr”. Das Jesusgebet stellt Starez Amvrosij auf den ersten Platz. Er schreibt, daß wir ständig im Jesusgebet verharren müssen, ohne den Ort oder die Zeit zu begrenzen. Beim Gebet soll man sich bemühen, alle fremden Gedanken abzuweisen, und ohne ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, muß man das Gebet fortführen.
Das in der Demut des Herzens gesprochene Gebet befähigt nach Ansicht von Starez Amvrosij den Menschen, alle vom Teufel herangetragenen Versuchungen zu erkennen und es hilft dem Betenden, den Sieg über sie davonzutragen. Als Anleitung zu einem verständigen Gebrauch des Jesusgebetes verteilte der Starez Broschüren mit dem Titel “Kommentar zum Jesusgebet”.
Wichtig ist auch, daß sich einige Optina-Mönche mit dem Segen des Starez und unter seiner unmittelbaren Überwachung und Führung an die Übersetzung der kirchenväterlichen Werke aus dem Griechischen und Lateinischen ins Russische und an die Zusammenstellung von geistlichen Büchern machten.
Das Erbarmen Gottes ergießt sich über alle, die das Heil suchen, aber besonders ergießt es sich auf jene Erwählten Gottes, die sich vom weltlichen Leben losgesagt haben, die Tag und Nacht unter vielem asketischen Mühen und Tränen versuchen, sich von jedem Makel und allen fleischlichen Begierden zu reinigen. Der Starez führt aus, daß das Wesen des monastischen Lebens im Töten der Leidenschaften und der Erlangung der Leidenschaftslosigkeit liegt. Die monastische Daseinsweise wird als eine engelgleiche bezeichnet. “Das Mönchstum ist ein Geheimnis”. “Das Mönchstum kann man auch als ein Sakrament verstehen, das alle früheren Sünden zudeckt, ähnlich der Taufe”. “Das Schema ist eine zweite Taufe, durch welche die Sünden geläutert und vergeben werden”.
Der monastische Pfad ist die Loslösung von allem Irdischen und das Aufsichnehmen des Joches Christi. Diejenigen, die den Pfad des Mönchstums betreten und gänzlich Christus nachfolgen wollen, müssen vor allen Dingen nach den Geboten des Evangeliums leben. An anderer Stelle schreibt der Starez: “Die Weisen und geistig Erfahrenen sagten, daß die Unterscheidung das höchste ist, während das einsichtsvolle Schweigen das beste von allem und die Demut das Dauerhafteste von allem ist. Der Gehorsam stellt nach den Worten des Johannes Klimakos ebenfalls eine große Tugend dar, ohne die keiner von den in Leidenschaften Verstrickten den Herrn schauen kann”. Daher kann man sagen, daß der allgemeine Gehalt der “Briefe an die im Mönchsstand Lebenden” Nichtmurren, Demut, Selbstvorwürfe, Erdulden von aufkommenden Kümmernissen und Ergebung in den Göttlichen Willen ist.
In den Briefen an weltliche Leute löste der Starez auch gewisse Zweifel hinsichtlich des Orthodoxen Glaubens und der Katholischen Kirche, wobei er Häretiker und Sektierer bloßstellte; er deutete manche wichtige Träume und zeigte auf, wie zu handeln ist. Der Starez schreibt, daß man der Erziehung der Kinder in der Furcht Gottes besondere Aufmerksamkeit schenken müsse. Womit du auch die Kinder ohne Einflößung von Gottesfurcht beschäftigen magst, es wird doch nicht die gewünschten Früchte im Hinblick auf eine gute Moral und ein wohlgeordnetes Leben bringen.
Starez Amvrosij verfügte über eine allumfassende Erfahrung, einen weiten Überblick und er konnte in jeder beliebigen Frage Rat erteilen, nicht nur in bezug auf das geistliche, sondern auch auf das praktische Leben. Vielen weltlichen Leuten gab er auch in ihren Haushaltsangelegenheiten bemerkenswerte praktische Ratschläge. Und die Fälle von Hellsichtigkeit waren zahlreich und oftmals ganz erstaunlich.
Nicht wenige wandten sich an Starez Amvrosij mit der Bitte um seine heiligen Gebete für die Genesung von schweren Krankheiten, und dies taten sie größtenteils in äußerster Not, wenn die ärztliche Kunst versagt hatte. In solchen Fällen riet der Starez meistens, das Sakrament der Letzten Ölung zu spenden, durch welches die Kranken ziemlich häufig gesund wurden. Bei allen gewöhnlichen Krankheiten bestimmte der Starez, ein Moleben vor den örtlichen wundertätigen Ikonen zu zelebrieren, oder er sandte die Kranken in die 18 Werst von Kaluga entfernte Tichon Pustyn’, damit sie dort zu dem gottgefälligen Tichon von Kaluga beteten und in seinem heilkräftigen Brunnen badeten. Die Fälle von Genesung durch die heiligen Gebete dieses Gottesgerechten waren zahlreich.
Übrigens handelte Starez Amvrosij nicht immer so auf Umwegen. Durch die ihm von Gott verliehene Gnade heilte er auch direkt, und solcher Beispiele gab es viele...
Durch viele asketische Übungen reinigte der Starez seine Seele und machte sie zu einem auserwählten Gefäß des Heiligen Geistes, der reich durch ihn wirkte. Die Spiritualität Vater Amvrosijs war so ungeheuer, daß sogar die Intellektuellen des 19. Jahrhunderts auf sie aufmerksam wurden, sie schätzten und von ihr angezogen wurden, obwohl sie in dieser Epoche oft nur wenig Glauben besaßen, von Zweifeln gequält wurden und zuweilen der Kirche und allem Kirchlichen auch ganz feindlich gegenüber standen.
Dem Starez gelang es, einige strenggläubige, wohlhabende Personen zum Bau von Frauenklöstern geneigt zu machen und er selber half auch dabei mit, soviel er nur konnte. Durch seine Fürsorge wurde in der Stadt Kromach des Gouvernments von Orjel ein Frauenkloster gebaut. Besonders viel Sorgfalt verwandte er auf die gute Einrichtung des Gusevskij Frauenklosters im Gouvernement von Saratov. Mit seinem Segen wurden von den Wohltätern die Kosel‚anskaja Ob‚çina (Schwesterngemeinschaft) im Gouvernement von Poltava und die Pjatnizkaja Ob‚çina in Voroneœ eingerichtet. Dem Starez oblag es nicht nur, die Pläne durchzusehen, Ratschläge und den Segen zu dem Werk zu geben, sondern sowohl Förderer als auch Insassen vor verschiedenen Gemeinheiten und Verhinderungen seitens einiger bösgesinnter Weltlinge zu schützen. Aus diesem Anlaß trat er zuweilen sogar in Briefwechsel mit den Hierarchen der Eparchie und den Mitgliedern des Heiligen Synods.
Das letzte Frauenkloster, um das sich Starez Amvrosij besonders bemühte, war die Schwesternschaft von Kazan in Schamordino. Im Jahre 1871 wurde das Gehöft Schamordino, das eine Fläche von 200 Desjäßtinen umfaßte, von einer geistlichen Tochter des Starez, der Witwe und Großgrundbesitzerin Kljuçareva (Nonne Amvrosija) erworben.
Das Kloster von Schamordino befriedigte vor allem jenen brennenden Durst nach Erbarmen den Leidenden gegenüber, von dem Vater Amvrosij stets erfüllt war. Hierher sandte er viele Hilflose. Der Starez nahm den allerlebhaftesten Anteil am Bau des neuen Klosters. Noch vor seiner offiziellen Eröffnung wurde ein Gebäude nach dem anderen gebaut, aber Anwärterinnen für die Gemeinschaft gab es so viele, daß die Unterkünfte nicht genügten. Meistens nahm der Starez in die sich im Aufbau befindende Gemeinschaft Witwen und Waisen, die sich in äußerster Armut befanden, auf, aber auch all diejenigen, die an irgendeiner Krankheit litten und die im Leben weder Trost noch Hort finden konnten. Es kamen jedoch auch Angehörige höherer Töchterschulen, die beim Starez den Sinn und Zweck des Lebens suchten und fanden. Aber mehr als alle anderen bewarben sich einfache Bauernmädchen um Aufnahme. Sie alle bildeten eine eng zusammengehörige Familie, die von Liebe zu ihrem Starez vereint wurde, der sie gesammelt hatte und der sie so heiß und väterlich liebte.
Wer nach Schamordino kam, der war zuerst von dem ungewöhnlichen Aufbau des Klosters beindruckt. Hier gab es weder Vorgesetzte noch Untergebene - alles hing von Batjuschka ab. Man fragte: “Warum ist hier alles so gelöst und frei, und alle sind bereit, seinen Willen auszuführen”. Und von verschiedenen Personen erhielt man ein und dieselbe Antwort: “Nur das gelingt, wozu Batjuschka seinen Segen gibt”.
Da wird beispielsweise ein schmutziges, halbnacktes, von Lumpen bedecktes und vor Schmutz mit Ausschlag behaftetes Kind angebracht. “Bringt sie nach Schamordino” - ordnet der Starez an - dort ist ein Hort für die ärmsten Mädelchen. Hier in Schamordino wurde nicht gefragt, ob der Mensch fähig ist, Nutzen zu schaffen und dem Kloster einen Gewinn zu bringen. Hier wurde nur gesehen, daß die Menschenseele leidet, daß sie keinen Platz hat, um ihren Kopf hinzulegen - und alle wurden aufgenommen, alle wurden versorgt.
Jedesmal, wenn der Starez das Waisenasyl im Kloster besuchte, sangen die Kinder Verse zu seinen Ehren: “Teurer Vater, heiliger Vater! Wir wissen nicht, wie wir dir danken sollen. Du hast uns Unterkunft gewährt, du hast uns gekleidet. Du hast uns aus der Armut errettet.. Sonst würden wir jetzt vielleicht alle mit einem Beutel über der Schulter durch die Welt irren, nirgends hätten wir ein Dach über dem Kopf, und wir müßten mit unserem Schicksal hadern. Und hier beten wir nur zum Schöpfer und rühmen Ihn deinetwegen. Wir bitten den Himmlischen Vater, daß er uns Waisen nicht verläßt”, oder sie sangen den Tropar an die Ikone von Kazan, welcher das Kloster geweiht ist. Ernst und nachdenklich hörte Vater Amvrosij dieses kindliche Flehen, und oftmals rannen dicke Tränen über seine eingefallenen Wangen hinunter. Die Zahl der Schwestern des unter der Obhut des Starez stehenden Klosters überstieg schließlich 500.
Schon Anfang 1891 wußte der Starez, daß er bald sterben würde... Dies vorausfühlend, hatte er es besonders eilig, das Kloster zu bauen. Unterdessen wollte der unzufriedene Bischof selber Schamordino einen Besuch abstatten und den Starez in seiner Kutsche wegfahren. Da fragten ihn die Schwestern: “Batjuschka! Wie sollen wir Vladyka empfangen?” Der Starez antwortete: “Nicht wir werden ihm, sondern er wird uns entgegenkommen”. “Was sollen wir für Vladyka singen?” Der Starez antwortete: “Wir werden ihm Halleluja singen”. Und tatsächlich traf der Bischof den Starez bereits im Sarg liegend an und schritt unter Halleluja-Singen in die Kirche.
Entsprechend der Vorsehung sollte der Starez die letzten Tage seines Lebens im Schamordino-Kloster verbringen. In der letzten Zeit war er sehr schwach geworden, doch keiner wollte glauben, daß er sterben könnte, so sehr war er allen notwendig. “Batjuschka ist kraftlos, Batjuschka ist krank geworden”, hörte man aus allen Ecken des Klosters.
Der Starez hatte starke Ohrenschmerzen und seine Stimme war angegriffen. “Das ist die letzte Prüfung” - sagte er. Die Krankheit schritt ständig fort; zu den Ohrenschmerzen kamen noch Schmerzen im Kopf und im ganzen Körper hinzu, aber der Starez antwortete immer noch brieflich auf Fragen und empfing ein paar Besucher. Bald wurde allen klar, daß der Starez sterben wird.
Als Vater Iosif merkte, daß es mit dem Starez zu Ende geht, eilte er ins Skit, um von dort die für seine Beerdigung aufbewahrten Dinge zu holen: die halbseidene alte Mantia, in die er einst bei der Mönchsweihe eingekleidet worden war, das härene Hemd und auch das Hemd aus Sackleinwand von Starez Makarij, dem gegenüber Vater Amvrosij, wie schon früher erwähnt, sein ganzes Leben lang tiefe Ergebenheit und Hochachtung empfunden hatte. In diesem Hemd befand sich die eigenhändig geschriebene Anweisung von Starez Amvrosij: Unbedingt nach meinem Tod mir überziehen!
Kaum hatte man die Sterbensgebete zu Ende gelesen, begann bereits das Leben des Starez zu verlöschen. Sein Gesicht wurde totenbleich und der Atem wurde immer kürzer. Schließlich holte er kräftig Luft. Nach zwei Minuten wiederholte sich dies. Dann erhob er die rechte Hand, formte sie zum Kreuzzeichen, führte sie zur Stirn, zur Brust, zur rechten Schulter und als er sie zur linken Schulter führen wollte, stieß er kräftig an, und weil ihm dies offensichtlich eine schreckliche Anstrengung gekostet hatte, stockte der Atem. Dann atmete er noch zum dritten und letzten Mal. Es war genau um halb zwölf Uhr, am 10. Oktobers 1891.
Lange noch blieben die das Lager des entschlafenen Starez Umgebenden stehen, da sie fürchteten, die feierliche Minute des Scheidens einer gerechten Seele vom Körper zu verletzen. Alle waren wie gefesselt, sie trauten ihren eigenen Augen nicht und verstanden nicht, ob dies ein Traum oder Wirklichkeit war. Aber seine heilige Seele flog schon in eine andere Welt, um vor dem Thron des Allerhöchsten im Glanz jener Liebe, von der er zu Lebzeiten erfüllt war, zu erscheinen. Hell und friedvoll war das Antlitz des entschlafenen Starez. Ein überirdisches Lächeln erleuchtete es.
Von dem Körper des Verstorbenen strömte bald ein starker Leichengeruch aus. Übrigens hatte er schon vor langer Zeit diesen Umstand seinem Zellendiener Vater Iosif gegenüber erwähnt. Auf die Frage des letzteren, warum dies so sein würde, antwortete der demütige Starez: “Das passiert mir deshalb, weil ich im Leben zuviel unverdiente Ehre empfangen habe”. Aber wunderbar war, daß je länger der Körper des Entschlafenen in der Kirche ruhte, der Leichengeruch immer weniger bemerkbar wurde. Wegen der großen Volksmenge, die im Verlauf von mehreren Tagen und Nächten fast nicht vom Sarg weichen wollte, herrschte in der Kirche eine unerträgliche Hitze, die eigentlich den schnellen und starken Zerfall des Körpers begünstigen sollte, aber es kam umgekehrt. Am Beerdigungstag des Starez ging von seinem Körper schon ein angenehmer Duft wie von frischem Honig aus.
Ganz Rußland trauerte über den Tod des Starez, aber für Optina und Schamordino und für all seine geistlichen Kinder war er unsterblich.
Am Tag der Beerdigung strömten bis zu 8000 Menschen in Schamordino zusammen. Nach der Liturgie vollzog Bischof Vitalij in Konzelebration mit 30 Geistlichen den Ritus der Beerdigung. Sieben Stunden dauerte die Überführung des Körpers des entschlafenen Starez. Während dieser ganzen Zeit erloschen die Kerzen am Sarg nicht ein einziges Mal, nicht einmal das übliche Knistern war hörbar, das sonst auftritt, wenn Wassertröpfchen auf den Docht brennender Kerzen fallen. Zu seinen Lebzeiten war Starez Amvrosij eine geistige Leuchte, der in allen beliebigen Lebensbedingungen mit dem Licht seiner Tugenden die durch ein sündiges Leben sich verzehrende Menschheit hell erleuchtete. Und jetzt, da er nicht mehr war, bezeugte der Herr durch das Brennen der Kerzen bei dem häßlichen Regenwetter noch einmal allen die Heiligkeit seines Lebens.
Am Abend des 14. Oktobers wurde der Sarg mit dem Körper des entschlafenen Starez in das Optina Kloster getragen, am 15. Oktober nach der Liturgie und Panichida hoben die Priester den Sarg auf ihre Hände, und unter dem Vorantragen von heiligen Ikonen und Fahnen begab sich der Trauerzug zu der für ihn bereiteten Grabstätte. Begraben wurde Starez Amvrosij neben seinen Vorgängern den Starzen Leonid und Makarij.
Starez Amvrosij lebt ewiglich, als einer, der große Kraft der Fürsprache vor dem Herrn besitzt. Niemals wird im Volksbewußtsein die Erinnerung an diesen großen Beter des russischen Landes erlöschen.
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Das Wirken dieser drei Starzen gleicht drei aufsteigenden Stufen, über welche sie Optina aus dem Zustand fast völliger Unbekanntheit zum Rang eines gefeierten Klosters emporführten.