Optina - Der große Starez Priestermönch Makarij (Ivanov) (1788-1860)*
Aber dank seiner großen Demut konnte Starez Makarij seine Hellsichtigkeit so gut verbergen, daß man sie ganz leicht übersehen konnte; nur diejenigen, die in enger Beziehung zu ihm standen, konnten keinen Zweifel daran haben, da sie aus eigener Erfahrung um sie wußten.
Da er ein Täter des geistigen Gebetes war, war sein Gemüt stets mit Gott vereint; infolgedessen leuchtete sein Gesicht aus innerer Freude und Liebe zum Nächsten. Sein Gedächtnis war erstaunlich und offensichtlich von der Vorsehung begabt, um ihm im Dienst am Nächsten beizustehen. Im übrigen herrschte in ihm eine seltene Verbindung kindlicher Einfalt, Ruhe und Demut, was ihn zugänglich für alle und für jeden machte.
Der Starez stand jeden Tag beim Läuten der Klosterglocke zur Morgengebetsregel auf, d.h. um zwei Uhr nachts. Dann ging er in den Korridor hinaus und weckte seine Zellendiener. Die morgendliche Gebetsregel Vater Makarijs bestand aus den Morgengebeten, 12 Psalmen, der ersten Stunde, dem täglichen Gottesmutterkanon gemäß dem Ton der Woche und dem Akathistos an die Mutter Gottes, wobei er die Oden selber sang. Danach gingen die Zellendiener hinaus, der Starez blieb alleine und versenkte sich weiterhin in Gott. Um sechs Uhr rief er die Zellendiener zur Lesung der Stunden und der Typica. Danach trank er ein oder zwei Tassen Tee und nahm sich dann die Korrespondenz vor. Von dann ab stand seine Zelle für alle, die zu ihm kamen, offen. Das häufige Quietschen der Tür vom Korridor zum Vorzimmer machte den Starez auf die Hereinkommenden aufmerksam.
Um 11 Uhr nach der späten Liturgie begab sich der Starez zusammen mit anderen in den Speisesaal. Nach dem Essen zog er sich für eine halbe oder eine Stunde in seine Zelle zurück, wobei er die Werke der Kirchenväter las - und das war die einzige freie Zeit zum Ausruhen im Verlauf des ganzen Tages. Aber kaum hörte er wieder das Knarren der Vorzimmertür, ging er schon hinaus oder fragte: “Wer ist dort?” Und wieder begann der Empfang der Besucher. Nach ein oder zwei Stunden ging er ins Gästehaus, wo ihn schon viele Dutzende, und an großen Festtagen oder während der Fastenzeiten gar Hunderte von Besuchern erwarteten.
Manchmal schien es, als wäre der Starez von der Last seines Opferdienstes innerlich erschöpft, aber dies schien eigentlich nur so. Denn wenn man aufmerksam seine täglichen Strapazen betrachtete und seine von Natur aus schwache Gesundheit, sein Leiden und seine Lebensjahre in Erwägung zog, war es unmöglich zu übersehen, daß nur die Kraft Gottes, die in den Schwachen wirkt, ihn zum Ertragen solch vielfältiger Mühsal stärken konnte.
Aus dem Gästehaus zurückkehrend, hörte der Starez anstatt einer Ruhepause eine kurze Gebetsfolge, die aus der 9. Stunde, einem Kathisma mit Gebeten und dem Kanon an den Schutzengel bestand. Bis zum Abendessen und zuweilen auch während des Abendessens empfing er die Klosterbrüder, die sich zum täglichen Bekenntnis ihrer Gedanken bei ihm einfanden. Nach Beendigung des Empfangs aß er ein wenig und hörte dann die Abendgebetsregel, zu der außer den Zellendienern noch ein oder zwei seiner engsten Schüler kamen. Diese bestand aus dem kleinen Spätabendgottesdienst (Apodypnon), den Gebeten vor dem Schlafengehen, zwei Abschnitten aus dem Apostel und einem Abschnitt aus dem Evangelium. Danach begaben sich die Schüler mit dem Segen des Starzen in ihre Zellen, während dieser nun alleine blieb.
Es war schon spät abends. Auf dem Tisch lag ein Stoß Briefe, der Antwort erforderte. Der Körper schmerzte vor Erschöpfung und das Herz vom Eindruck des zum Vorschein kommenden menschlichen Leidens. Das Licht in den Zellen des Skits war schon lange erloschen, nur das Fenster seiner Zelle war noch hell - er schrieb immer noch. Und nun erlosch auch dieses Licht - der Starez erhob sich zum Gebet. Ganz zu schweigen von dem Nutzen, den andere hier erhielten - wer könnte die Mühen und Schmerzen aufzählen, welche der selige Starez im Streben nach spirituellem Fortschritt selber auf sich nahm? Wer kann zählen, wie vielen Kummers und Seufzens es dazu bedurfte, wie vieler Zweifel und bitterer Tränen, mit demutsvollem Flehen und Niederfallen vor Gott?
Die Gebete des Starzen waren wie die Gebete aller russischen Gerechten von der Liebe zur Wahrheit durchdrungen. Wie alle russischen Asketen betete er für die Verwirklichung der Göttlichen Wahrheit auf Erden, für den Sieg des Guten und die Züchtigung des Bösen. Die russischen Asketen und mit ihnen Starez Makarij litten lebhaft unter der Unvollkommenheit des Menschen, dem Sieg des Lasters und beteten glühend um das Einsichtigwerden und die Besserung der Menschen, um den Schutz der Schwachen und die Zügelung der Starken. Je lebendiger sie das Böse empfanden, desto flammender beteten sie für den Sieg des Guten. Niemals versiegte das Gebet in dem Starez, ob er nun von Menschen umgeben war, im Speisesaal, bei der Unterhaltung oder in der Stille der Nacht war.
Vater Makarij gebührt der unschätzbare Verdienst und die Leistung bei der Herausgabe der patristischen Literatur. Gerade durch diese publizistische Tätigkeit lenkte die Optina Pustyn’ die Aufmerksamkeit der Vertreter der russischen gebildeten Schicht auf sich. Indem sie mit Starez Makarij Umgang pflegten, gewahrten sie die ganze Größe seiner inneren Weisheit und fühlten deutlich den Nutzen und die Erbauung durch seine Gespräche und seine Briefe; in der Folge wurde es ihnen unerläßlich, sowohl in ihren persönlichen als auch in ihren gesellschaftlichen Problemen seinen Rat einzuholen.
Es folgte eine fruchtbare Zeitspanne, denn bei Vater Makarij fanden sich gelehrte Helfer, Mitarbeiter und Förderer ein, obwohl er selber überhaupt nicht an die Herausgabe dieser spirituellen Reichtümer zu denken gewagt hatte.
Die tüchtigsten Helfer in materieller Beziehung und in Hinsicht auf den schnellen Durchlauf der zum Druck bereiten Bücher durch die Zensur und andere Barrieren waren Ivan Vasiljeviç Kirejevskij, der berühmte russische Philosoph und Slavophile und seine Gattin Natalija Petrovna. Durch ihren eigenen Eifer gewannen sie noch viele andere für die Teilnahme an dieser schwierigen, aber heiligen Sache. Jede mögliche Unterstützung wurde ihm von seiten des Moskauer Metropoliten Filaret zuteil.
Starez Makarij bezeichnete die Veröffentlichung der spirituellen Bücher als eine “göttliche Aufgabe”. Er verstand, welchen Wert die neu herausgegeben Bücher darstellen, und sein ständiger Wunsch war, daß sie so schnell wie möglich an die Orte gelangten, wo sie benötigt werden und nützlich sein könnten. Gemäß der Vorsehung Gottes wurden 1845 in der Optina Pustyn’ die Schätze der schriftlichen Arbeiten des seligen Starzen Paisij gesammelt. Es waren Manuskripte, die entweder dem Starzen Paisij selber gehört hatten oder die von seinen Schülern von seinen Konzepten abgeschrieben worden waren. Die Arbeit Vater Makarijs bestand in der Druckvorbereitung der kirschenslawischen Übersetzungen und der Übersetzung einiger Texte in die russische Sprache. Seine Tätigkeit in dieser Hinsicht war außergewöhnlich, oft opferte er sogar seine kurze Ruhepause dafür. So wurde dank den unermüdlichen Anstrengungen von Vater Makarij in der Optina Pustyn’ das Werk des moldauischen Starze und Schema-Archimandriten Paisij Veliçkovskij fortgeführt. Durch seine asketisch-literarischen Veröffentlichungen (über 125) übte es einen wohltätigen Einfluß auf die Entfaltung des geistlichen Lebens im Rußland des 19. Jahrhundert aus.
Durch den vermehrten Zustrom von Menschen und das Anwachsen der Zahl der Briefe dehnte sich das geistliche Wirken Vater Makarijs mit jedem Jahr aus. Für den Starzen wurde der Verlust der Einsamkeit recht fühlbar. Von Zeit zu Zeit zog er sich in das für ihn von I.V.Kirejevskij im Dorf Dobino erbaute Häuschen zurück. Mit Erlaubnis der geistlichen Obrigkeit verbrachte er einige Tage dort im Gebet. Als wahrer Asket empfand der Starez stets die Notwendigkeit des Gebetes, denn nur im Gebet empfing er die für seinen hohen Starzen-Dienst notwendige geistliche und körperliche Kraft und nur der Notwendigkeit gehorchend, lebte er in der Welt.
Der Starez bemühte sich mit voller Selbstverleugnung um das Wohl des Nächsten, wobei er weder seine eigenen Kräfte noch seine Gesundheit schonte. Endlose Krankheiten verursachten ihm viel Leiden und setzten ihm bis zur Erschöpfung zu. Im November 1853 legte Vater Makarij das Amt des Skit-Vorstehers nieder, um mehr Muße für geistliche Beschäftigungen zu haben. Aber seine Gesundheit wurde sichtbar schwächer und seine Kräfte schwanden dahin.
10 Tage vor seinem Ende erfuhr der Starez plötzlich eine scharfe Verschlimmerung seiner Krankheit. Nach dem Sakrament der Ölweihe fühlte er sich sichtbar an Leib und Geist gestärkt, traf die notwendigen Anordnungen für den Fall seines Ablebens, schenkte allen Verzeihung, wobei er diese auch demütig für sich selber erbat, und segnete alle zu ihm Kommenden. Die vertrauten Schüler eilten herbei, um die scheinbare Rüstigkeit des Kranken auszunützen, und baten um die Lösung ihrer Probleme, die für sie “Lebensfragen” waren: z.B. an wen sie sich mit seinem Segen nach seinem Ende wenden sollen, wie in diesem oder jenem Wechselfall des monastischen Weges zu verfahren sei. Und der Starez, der wußte, daß seine Tage vor dem Herrn gezählt waren, beantwortete alle Fragen klar und ruhig. Auf die Frage der Schüler: “Wie sollen wir denn ohne Sie auskommen, Batjuschka?” verwies der Starez auf die Antwort des Skit-Abba Isaak im alphabethischen Paterikon auf genau dieselbe Frage: “Ihr saht, wie ich mich vor euch verhalten habe; wenn ihr dies nachahmen möchtet, dann haltet die Gebote Gottes, und Gott wird Seine Gnade herabsenden. Wir trauerten auch, als unsere Väter uns verließen und zu Gott gingen, aber auf die Gebote des Herrn und die Vermächtnisse der Starzen blickend, lebten wir so, als ob sie noch bei uns wären. Tut auch ihr so, und ihr werdet gerettet werden”.
Während seiner Krankheit empfing der Starez öfters die Heiligen Mysterien Christi. Ungeachtet seiner Leiden behielt er als geistiger Streiter bis zu seinem Ende fest seine monastische Waffe, nämlich das Gebet, in der Hand. Ausrufe wie “Mutter Gottes! Mein Heiland!” begleiteten fast jeden seiner Schmerzensseufzer. Und am 7. September 1860, dem Tag der Feier der Geburt der Allerreinsten Gottesgebärerin, an der er mit einem tief-inneren Glauben hing, welcher sich in der ständigen Anrufung ihres allheiligen Namens äußerte, empfing er um 6 Uhr morgens zum letzten Mal die Heiligen Geheimnisse. Nach der Lesung von 9 Oden des Kanons für die Trennung der Seele vom Leib, fast genau eine Stunde später, legte der Starez seine gerechte Seele in die Hände Gottes. Vater Makarij entschlief 1860 im Alter von 72 Jahren; begraben wurde er am Seitenaltar des Hl. Nikolaus in der Kathedralkirche, an der rechten Seite des Grabgewölbes, wo auch der Körper des Hieroschimonachos Ljev, des geistigen Freundes und Mitstreiters des Starzen ruhte.
Als wahrer Knecht Seines Herrn vergrub Vater Makarij die ihm anvertrauten Pfunde nicht, sondern diente mit großem Eifer bis zu seinem Ende dem geistlichen Wohl aller derer, die es suchten. Das Wort seiner Lippen war nicht formvollendet, aber wirkungsvoll, es war ein einfaches und demütiges Wort, wie die Aussagen des Evangeliums, ein mit Macht geladenes Wort, wie es den wahren Nachfolgern Christi zum allgemeinen Vorteil gegeben wird.
Starez Makarij war ein großer Lehrer der Demut. In seinen geistlichen Lehren, die hauptsächlich in den Sammelwerken seiner Briefe abgedruckt wurden, kann jeder Christ selbst Erbauung, Trost und Führung finden. Vater Makarij sagte von sich aus nichts Neues, sondern bei allen Aussagen gründete er sich auf die Lehren der Heiligen Väter.
Aber wie können wir verstehen, was die Werke der heiligen Väter wirklich darstellen? In den Werken der heiligen Väter ist außer dem kanonischen und dem literarischen Reichtum die gnadenreiche, jahrhundertealte psychologische Erfahrung der orthodoxen Gottesstreiter dargelegt. Im Verlauf von Jahrhunderten erforschten die östlichen Asketen mit Hilfe der Gnade des Heiligen Geistes vollkommen die menschliche Seele, die Gesetze ihres Lebens und den Pfad zu ihrem spirituellen Aufstieg. In diesen Werken ist der richtige und einzigste Weg zur höchsten Vollkommenheit der Heiligkeit und Gottesschau für alle Zeiten und für alle Völker ausgearbeitet. In ihnen herrscht eine wunderbare Einheit der Gesinnung und alles fließt organisch eins aus dem anderen. In der Gnade des Heiligen Geistes sprachen die Kirchenväter nichts als die Wahrheit; daher muß ihre Autorität absolut für uns sein.
Vor einem oberflächlichen Verstehen der Wahrheit rettet den Menschen keinerlei Stellung: mag er der gelehrteste Theologe, Rektor einer Geistlichen Akademie oder ein hoher kirchlicher Würdenträger oder ein Asket im Kloster sein. All dies kommt davon, daß “die Bauleute den Stein verwerfen, der als Eckstein liegen muß”. Der Eckstein aber ist Christus und Seine Gebote! Die Vernachlässigung der Gebote Gottes führt zur Leidenschaftlichkeit. Jede Leidenschaft aber vernebelt wie Rauch den geistlichen Blick, der dann die Wahrheit nicht mehr zu erreichen vermag. Das krasseste Beispiel hiervon gibt uns das Evangelium in der Gestalt von Judas dem Verräter: sogar die außergewöhnliche Nähe zum Erlöser und seine apostolische Berufung retteten ihn nicht vor dem Untergang.
Das Lesen der Heiligen Schrift und der patristischen Werke nannte Vater Makarij geistliche Speise. “Das Lesen der kirchenväterlichen Bücher, - so schrieb er in seinen Briefen, - ist äußerst nötig und nützlich zum Erkennen des göttlichen Willens, denn die Väter erfüllten das Wort Gottes, das uns in der Schrift überliefert wurde und setzten es ins tätige Leben um, wobei sie durch ihre Lehren ein Beispiel setzten”. “Wenn ihr nur das Wort Gottes lest, ohne euch mit den Vätern zu beschäftigen, so wißt ihr nichts von der richtigen Lebensweise und dem inneren Kampf; ihr meint, ihr könntet es erfüllen und ihr demütigt euch nicht. Lest ihr jedoch die Väter, so strebt ihr danach, das darin Vorgeschriebene zu erfüllen, aber weil ihr ihre Größe nicht erreichen könnt, erkennt ihr eure Hilflosigkeit und werdet demütig - dann werdet ihr des Erbarmens Gottes würdig, das sich besonders auf die Demütigen ergießt.”
“Indem wir das Wort Gottes und die Beispiele aus dem Leben der Väter studieren, welche die Leidenschaften besiegt und die Liebe Gottes erlangt haben, fassen wir Glauben zu ihm und nötigen uns, zuerst die körperliche Arbeit zu leisten und durch die Tat dem Nächsten Liebe zu erweisen. Wenn wir dies richtig und demütig ausführen, dann gehen wir zur Schau über, wir erhalten seelischen Trost, und die Göttliche Liebe manifestiert sich uns klar und deutlich.”
“Jene Leute, die die kirchliche Ordnung einführten und den Sinn der Heiligen Schriften definierten, waren gottbegeisterte Hirten und Kirchenlehrer, der Heilige Geist selber waltete bei diesem Werk in ihnen, aber ihr könnt das von euch nicht behaupten; obwohl ihr einen natürlichen und einen durch die Wissenschaften erleuchteten Verstand habt, so besitzt ihr doch die Gnade nicht. Wisset denn, daß die Weisheit dieser Welt eine ‘Torheit vor Gott’ (1. Kor. 1,20) ist. Daher rate ich euch, daß ihr, wenn ihr erlöst werden wollt, euch in allem der Kirche unterordnet.” Nach den Worten Vater Makarijs können auch die “gescheitesten weltlichen Leute die Schriften ohne Führung der Kirche nicht verstehen”, weil ihre richtige Bedeutung nur von dem Verstand erfaßt wird, der durch eine lebenslange Askese gereinigt und von Gott erleuchtet worden ist.
In den Briefen an die Mönche schreibt der Starez: “Die junge Generation ernährt sich nicht mit der Milch der Lehren unserer heiligen Orthodoxen Kirche, sondern sie läßt sich von irgendeinem ausländischen, trüben, giftigen Geist mitreißen. Wir müssen die europäischen Gebräuche abwerfen, das heilige Rußland lieben und wegen unserer vergangenen Begeisterung für diese Reue üben, fest im orthodoxen Glauben sein, zu Gott beten und Buße tun für das Vergangene. Das wohltätige Europa lehrte uns die äußerlichen Künste und Wissenschaften, aber die innere Güte nimmt es weg und den orthodoxen Glauben bringt es ins Wanken.”
Mit tiefem Schmerz bemerkt Vater Makarij, daß die Christen seiner Zeit nicht die Werke der Heiligen Väter studieren. Daher kommt ihre unklare Vorstellung von dem Ziel des christlichen Lebens und ihr falsches Verständnis des geistigen Tuns und folglich das Erkalten im spirituellen Leben und das Sinken des moralischen Niveaus. Zu allererst bedarf es der richtigen Vorstellung vom Ziel und der Richtungsgebung des geistlichen Lebens des Christen. Aber im spirituellen Leben des Menschen - so lehrt der Starez gleich dem Apostel Paulus - ist in der Regel etwas Gegensätzliches am Werk, das gegen seine guten Absichten kämpft. Der Christ muß während seines ganzen irdischen Daseins nach dem geistlichen Leben streben, dieser Kunst der Künste, und dabei den Grundstein durch die eifrige Befolgung der göttlichen Gebote legen.
Der geistige Pfad - das ist der Weg zu Gott durch moralische Vervollkommnung, das ist der Pfad der Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit bei der Ausführung der Gebote Gottes und dem Kampf mit den Leidenschaften; es ist der Pfad der Reue, der Demut und der Selbstvorwürfe. Der Christ, der aufmerksam auf alle seine Schritte, Worte und Gedanken achtet, gelangt zur Einsicht seiner tiefen Hilflosigkeit und der Unerläßlichkeit der göttlichen Hilfe zur Erlangung des Heils, er lernt Demut und Reue.
Die Lehre des Evangeliums befolgen, sich der Wahrheit nähern kann man in allen Lebenslagen: ob man nun in der Welt lebt oder sich von der Welt lossagt - im Mönchsstand. Aber die Anweisungen des Evangeliums erfüllen und Reue üben ist leichter im Kloster als wenn man in der Welt lebt. Das Wesen des monastischen Lebens liegt im Kampf mit den Leidenschaften. Das Ziel des Mönchtums ist die Gottgefälligkeit, die Angleichung an Gott durch die Erfüllung der Gebote Christi: “Seid daher vollkommen, wie euer Himmlischer Vater vollkommen ist” (Mt. 5,48). Beim Eintritt ins Kloster ist die Abgeschiedenheit eine der wichtigsten Bedingungen, dank derer man die geistige Vollkommenheit erlangen kann. Der Pfad zur Vervollkommnung - so sagt Vater Makarij - “ist ein Pfad des Tragens des Kreuzes”, welches aus dem auf dem Boden unseres Herzens wachsenden Holz gemacht ist. Der monastische Pfad ist ein Weg ständiger Reue und Gehorsamsübung. Die Enthüllung der Gedanken bringt dem im Mönchsstand Lebenden Gewissensruhe, Demut und viele andere Tugenden.
Einen anderen Pfad, der zum inneren Mönchstum führt, sieht Vater Makarij im Ertragen von Trübsal ohne Murren.
Das ganze Leben des Christen und um so mehr das des Mönches muß der Reue geweiht sein. Die Reue auf die Zukunft zu verschieben ist sehr gefährlich. Sogar die Gerechten können die Sünden nicht vermeiden, auch sie fallen wegen ihrer Schwäche... Wer daher die Verbindung mit Gott wiederherstellen möchte, sich Christus nähern möchte, der muß mit Reue und mit Demut beginnen. Nur die aufrichtige und demütige Reue kann den Menschen zu einem Tempel Gottes, zu einem Gefäß Christi des Herrn machen.
Nach den Worten Vater Makarijs kann der Demütige nicht in “Prelest” (Verblendung) verfallen, weil die Demut, die ohnehin schon den niedrigsten Platze einnimmt, niemals fallen kann. Sanftmut und Demut sind uns außerordentlich notwendig: Wie das Licht alles Sichtbare erleuchtet, so zeigt uns die Demut alle unsere Mängel, sie erleuchtet unseren Geist und unser Verständnis. Es ist unerläßlich, Demut im Herzen zu bewahren. “Wenn ihr das Demutspfand in euren Herzen habt und eure Dürftigkeit einseht, dann werdet ihr die Hilfe Gottes in euren Werken erlangen. Im dem Maße wie wir Demut erwerben, gewinnen wir die Ewigkeit.
Ein wirksamer Glauben ist ein Geschenk Gottes. Nach der Lehre des Starzen von Optina wurde diese Gabe dem Menschen mit der Herabkunft Christi des Heilandes geschenkt. “Wenn du auch die Gebetsregel ausführen magst - so lehrt er eine Nonne - aber dich nicht zur Geduld, Demut und Liebe, Gehorsamspflicht und anderen Tugenden nötigst, dann bringt dir die Mönchsregel alleine keinen Nutzen. Dazu ist ja die Regel da, daß wir, indem wir uns mit ihr abgeben, weniger Zeit vergeuden und weniger Neigung zur Sünde haben und beten, daß wir unser Leben nach den Geboten Gottes ausrichten, denn ohne Liebe und Demut wird keines unserer Werke und Opfer von Gott angenommen. Allein durch die Erfüllung der Klosterregel ist es unmöglich, sich vor den Leidenschaften zu hüten, man muß gleichzeitig auch auf das innere Tun achten.
Derjenige, welcher im Gebet vor Gott stehen möchte, muß sich zum Kampf bereiten, weil der Feind unserer Erlösung auf jede Weise versucht den Betenden abzulenken, indem er ihm schlechte Gedanken einflößt, indem er Zorn erweckt gegen diejenigen, die ihn beim Beten stören, indem er die Seele bei auftretenden Schwierigkeiten in Verwirrung und Ungeduld stürzt, oder indem er ihn in Aufregung versetzt.” “Strebt beim Gebet nicht nach erhabenen Zuständen, sondern indem ihr in allem eure Hilflosigkeit einseht, werft euch immerdar nieder vor Gott und ruft Ihn mit Demut und Einfalt an, wie Kinder ihren Vater, indem ihr bedenkt, daß vor Gott ein reuiger Sünder besser ist als ein stolzer Gerechter. Beten muß man auch dann, wenn man im Herzen dem Gebet gegenüber Erkalten fühlt.
Die heiligen Väter schreiben, daß derjenige, der das wahrhafte Gebet erlangt, nicht in Trübsal verfallen wird, wenn auch die ganze Welt gegen ihn aufsteht. Wenn wir uns vom Zorn besiegen lassen, dann sind wir noch weit vom Gebet entfernt; es ist gut, sich davor zu hüten, das Erhabene zu suchen, um nicht in “Prelest” zu fallen. Denn “am Anfang steht das Golgatha des Opfers und dann erst kommt die Herrlichkeit der Auferstehung: die Tröstung im Gebet und hohe Gnadengaben”.
Als Frucht des wahren Gebetes manifestiert sich Demut und Liebe zum Nächsten. Aber die Gabe der Liebe zu Gott - so sagt Vater Makarij - kann man nicht auf einfachem Weg erwerben. Jene, die vorgeben, sie hätten Gottesliebe erlangt, täuschen sich. Die wahre Liebe zu Gott wird einem erst dann zuteil, wenn man alle Gebote Gottes einhält. Wie es denn heißt: “Welcher mich liebt, der hält meine Gebote” (Joh. 14,15).
Der Herr sorgt sich um Seine Geschöpfe und verfügt gemäß Seiner weisen Vorsehung und Vorschau, wen Er bestraft und wen Er belohnt. Seine Wege sind uns unerforschlich. Er sendet uns Trübsal aus Liebe oder als Bestrafung für unsere Sünden oder als Warnung vor der Sünde. Der Herr sagte uns voraus, “daß ihr in der Welt Angst haben werdet” (Joh. 16,33) und die heiligen Apostel lehrten, “daß man durch viele Trübsale ins Reich Gottes eingehen muß” (Apg. 14,22), und wiederum: “Wen der Herr liebhat, den züchtigt Er; Er geißelt aber jeden Sohn, den Er annimmt” (Hebr. 12,6). Man muß tapfer die Trübsal ertragen und glauben, daß sie uns durch den Willen Gottes zu unserem Nutzen wegen unserer vielen Sünden gesandt wurde.
Die Erfüllung des Willens Gottes, Friede und Gleichmut bei allen Lebensstürmen und Gefahren führen dazu, daß der Mensch schon hier auf der Erde Frieden genießt und das Reich Gottes in sich findet, von dem der Erlöser Selber sagte: “Denn siehe das Reich Gottes ist in euch” (Lk.17,21).